Kapitel 7: Verlagerung der Fabrik nach Brünnlitz

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Oskar Schindler
Oskar Schindler
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„Kein Außenstehender kann ermessen ... wie groß die Arbeit war, von dem gefassten Entschluss an, meine Juden nach Westen mitzunehmen, bis zur durchgeführten Tatsache, wo ich über 1.000 Menschen an einen neuen Ort in Sicherheit hatte. Chaos und Bürokratie, Neid und Böswilligkeit waren Hindernisse, die die Verlagerung illusorisch erscheinen ließen und mich an den Rand der Verzweiflung brachten. Nur der eiserne Wille, meine Juden, in deren Reihen ich im Laufe der sechs Jahre aufrichtige Freunde gefunden hatte, nicht einem Krematorium in Auschwitz oder sonst wo zu überlassen, nachdem ich diese jahrelang unter aufreibendem persönlichen Einsatz den Krallen der SS vorenthalten hatte, half mir, mein Ziel zu erreichen.“

Oskar Schindlers Bericht aus „Schindlers Koffer"

Inhaltsverzeichnis

Die Genehmigung von höchster Stelle

Brünnlitz
Brünnlitz
Im September 1944 war Oskar Schindler in intensiven Verhandlungen mit den zuständigen Behörden, damit eine möglichst große Anzahl an Arbeitern aus dem Lager Plaszów nach Brünnlitz verlegt werden konnte.[1] Um die Genehmigung für die Errichtung des Außenlagers zu bekommen, war nicht einfach die Bestechung Göths vonnöten, wie es in Steven Spielbergs Film den Anschein hatte, sondern die Amtsgruppe D des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, zuständig für die Konzentrationslager, musste die Genehmigung hierzu gegeben haben, ebenso die Rüstungsinspektion im Generalgouvernement unter Generalleutnant Maximilian Schindler. Ohne entsprechende amtliche Verfügungen aus Oranienburg und Krakau hätten nicht einfach über 1000 Menschen das KZ Plaszow in Richtung Groß Rosen und schließlich nach Brünnlitz verlassen können. Aber diese Bürokratie erwies sich insofern als Vorteil, denn nur diese ermöglichte Schindler im November 1944 seine 300 im KZ Auschwitz auf den Weitertransport wartenden Arbeiterinnen ins Arbeitslager Brünnlitz zu schaffen.[2]

Wahl des Standortes der Firma

Schindlers Fabrik
Schindlers Fabrik
Angesichts der immer näher rückenden Ostfront im August und September 1944 wurde die Zeit zum Umzug nach Brünnlitz immer dringlicher. Die SS–Führer in Berlin und Krakau wussten, dass bei einer Hinauszögerung der Entscheidung der Wert der Geschenke Schindlers an sie sich steigern würde. Er wiederum musste aufpassen, dass er nicht der Beamtenbestechung bezichtigt würde. Schindler hätte auch einen anderen Standort für seine Fabrik wählen können, etwa das Rheinland oder Simmering, aber dann hätte er „seine Juden“ im Stich lassen müssen. Infolge seiner guten Beziehungen ins Sudetenland wählte er Brünnlitz, und das neue Lager etwa 60 km südwestlich von Breslau wurde eines von ca. 100 Außenlagern des KZ Groß Rosen.[3]

Überzeugungsarbeit Schindlers

Krematorium in Auschwitz
Krematorium in Auschwitz
Schindler wird die dortigen Entscheidungsträger mit Geld oder anderen Geschenken überzeugt haben, dass er nicht irgendwelche ungelernten Häftlinge mit nach Brünnlitz nehmen konnte. Kontakte aus seiner früheren Spionagetätigkeit dürften hierbei hilfreich gewesen sein. Vermutlich hat er mit Nachdruck auf die Wichtigkeit eingearbeiteter Leute bei der Produktion „siegentscheidender“ Granatenteile hingewiesen haben.[4]

Oskar Schindler äußerte sich folgendermaßen zu dieser Herausforderung:

Kein Außenstehender kann ermessen ... wie groß die Arbeit war, von dem gefassten Entschluss an, meine Juden nach Westen mitzunehmen, bis zur durchgeführten Tatsache, wo ich über 1.000 Menschen an einen neuen Ort in Sicherheit hatte. Chaos und Bürokratie, Neid und Böswilligkeit waren Hindernisse, die die Verlagerung illusorisch erscheinen ließen und mich an den Rand der Verzweiflung brachten. Nur der eiserne Wille, meine Juden, in deren Reihen ich im Laufe der sechs Jahre aufrichtige Freunde gefunden hatte, nicht einem Krematorium in Auschwitz oder sonst wo zu überlassen, nachdem ich diese jahrelang unter aufreibendem persönlichen Einsatz den Krallen der SS vorenthalten hatte, half mir, mein Ziel zu erreichen.“[5]

Transport ins KZ Groß Rosen

KZ Groß Rosen
KZ Groß Rosen
Am 15. Oktober 1944 verließ ein Transport mit 4.500 männlichen Häftlingen, zusammengepfercht in Viehwaggons, ohne Wasser, ohne hygienische Vorkehrungen das Lager Plaszow. Die Ungewissheit war sehr groß, da niemand wusste, ob sie tatsächlich lebend ankommen oder wohin sie gebracht würden - Oskar Schindler befand sich nicht in ihrer Nähe.[6]

Erniedrigung bei Eintreffen im KZ

Mietek Pemper
Mietek Pemper
Der Aufenthalt in Groß Rosen dauerte 7 Tage. Als die Häftlinge ankamen, mussten sie sich alle komplett entkleiden und eine ganze Nacht stehend auf dem Appellplatz verbringen. Die Häftlinge wärmten sich gegenseitig, indem die Außenstehenden immer wieder nach innen wechselten. An dem nächsten Tag wurden sie in die Desinfektionsanstalt geschickt, wo ihnen auch Körperhaare abrasiert wurden. Die Unsicherheit und Angst hielt an, denn es war nie sicher, ob diese Leute von der Liste überleben oder doch noch umgebracht würden.

Informationsquelle der Häftlinge

Landstorfer wurde nach der Ankunft in Groß Rosen wieder nach Plaszów zurückbeordert, hinterließ aber den SS-Leuten zwei Häftlingsnamen als Kontaktpersonen: Marcel Goldberg und Mietek Pemper. Selbst im KZ Groß Rosen strich Goldberg noch Namen von der Liste und setzte neue ein. Da diese Liste nicht mehr erhalten ist, bleibt unklar, wie viele der 700 Männer, die Brünnlitz erreichten, in letzter Minute ausgetauscht wurden. Einer der Ausgetauschten war der Vater des später weltberühmten Regisseurs Roman Polanski, aber auch Noah Stockmann, der mit SS-Untersturmführer Leipold „befreundet“ gewesen war, wurde von der Liste gestrichen.

Ankunft in Brünnlitz

Schindlers Heimatstadt Zwittau
Schindlers Heimatstadt Zwittau
Am 22. Oktober kamen die Häftlinge in Brünnlitz an, wo bereits eine stillgelegte jüdische Spinnerei nach den Vorschriften der SS mit Wachtürmen, Stacheldraht, einer Küche, einer Krankenabteilung und separaten Schlaflager für 700 Männern und 300 Frauen ausgerüstet worden war. Die Maschinen aus Schindlers Fabrik Krakau-Zablocie, mit denen Granatenteile produziert werden sollten, waren ebenfalls bereits angeliefert worden. Die Wachmannschaft bestand von älteren SS- Männern, die Oskar Schindler von Anfang an mit Geschenken und Alkohol bei Laune hielt.

Die Fahrt der Frauen

Häftlingsliste Frauen Seite 1  2 • 3 • 4 • 5 • 6 • 7 • 8 • 9
Häftlingsliste Frauen Seite 1 23456789

Die weiblichen Häftlinge aus Plaszow hatten am 22.Oktober Krakau verlassen und waren am 23.Oktober in Auschwitz-Birkenau angekommen. Da im KZ Groß Rosen kein Frauenlager mehr existierte, mussten sie entsprechend der Vorschrift, dass Insassen bei einer Einlieferung in ein Lager im Reichsgebiet auch an den Genitalien rasiert werden mussten, nach Auschwitz gebracht. In Auschwitz wurde die Gruppe von 300 Frauen auseinander gerissen und es war nicht leicht, genau diese 300 Frauen wieder nach Brünnlitz zu transportieren, da in Auschwitz erhebliche Überfüllung und Desorganisation herrschte. Aber da die Liste von der Amtsgruppe D bewilligt worden war, galt sie aber als verbindlich.

Namentlicher Aufruf bedeutet die Rettung

KZ Auschwitz
KZ Auschwitz
Die Aufseherinnen in Auschwitz mussten die „Schindler-Frauen“ aus den vielen Baracken auf dem riesigen Lagergelände einzeln aussortieren. Für den Abtransport nach Brünnlitz wurden die Frauen tatsächlich namentlich ausgerufen, was sonst nie geschah, denn in Auschwitz zählte ansonsten nur die Nummer.

Wir stanken unheimlich, denn es gab noch nicht einmal einen Eimer. Was der arme Schindler riechen musste, muss entsetzlich gewesen sein. Die Frauen, die ihn bereits aus der Èmalia kannten, bekamen bei seinem Anblick hysterische Anfälle. Er lächelte subtil, und dort, wo in der Nähe keiner von den Deutschen war, gelang es ihm, uns zuzuflüstern, dass wir jetzt in Sicherheit wären. Von diesem Augenblick an glaubte ich an Oskar Schindler, an seinen wahren Willen, uns zu retten.“[7]

Ankunft in Brünnlitz

Oskar Schindler in Paris, 1949
Oskar Schindler in Paris, 1949
Im zweistöckigen Hauptgebäude der Fabrik, an der anderen Seite des Zaunes, der die Fabrikhalle teilte, sahen sie endlich die Männer. Die einen weinten vor Glück, die anderen vor Verzweiflung, eine Begrüßung die kein Ende nahm. Endlich bekamen sie Suppe, dann wurden sie in ihre Quartiere eingewiesen. Niemand hatte sie bisher angeschrien oder geschlagen.[8] Schindler stand plötzlich am Eingang und sprach einige Worte zu ihnen:

„Ich weiß, ihr seid durch die Hölle gegangen, bevor ihr hier angelangt seid, euer Aussehen sagt alles. Ihr werdet hier vorläufig vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein, aber ihr seid ja tapfere Frauen. Es bestand keine große Hoffnung, dass es gelingen würde, euch hierher zu holen. Doch das ist Vergangenheit. Ich zähle auf eure Disziplin, euren Ordnungssinn, ich denke, dass das Schlimmste überwunden ist. Die Pritschen müssten eigentlich in ein paar Tagen da sein. Jetzt müsst ihr euch einrichten und untereinander Ordnung schaffen. Die Ärztinnen sollen sich beim Oberarzt melden. Wählt eure Blockälteste. Doktor Hilfstein und Pemper werden euch zeigen, wo ihr euch waschen könnt. Kranke und solche, die verarztet werden müssen, gehen gleich mit den Ärztinnen mit.“

Stella Müller-Madej,a.a.O, S. 225

Dr. Chaim Hilfstein klärte die Frauen darüber auf, dass ihnen von Leipold, dem Lagerkommandanten, dem man auf keinen Fall vertrauen dürfe, Gefahr drohe.


Brief an Dr. Ball-Kaduri (verfasst von Oskar Schindler)

Einzelnachweise

  1. Mietek Pemper, a.a.O., S. 188f
  2. Mietek Pemper. a.a.O., S. 194ff
  3. Mietek Pemper, a.a.O., S. 193
  4. Mietek Pemper, a.a.O., S. 191f
  5. Oskar Schindlers Bericht aus „Schindlers Koffer“.
  6. Mietek Pemper, a.a.O., S. 200ff
  7. Aussage von Stella Müller-Madej in einem Fernsehinterview, in: Spiegel-TV-Dokumentation, Vox 2003
  8. D. Crowe, S. 457

Auszüge aus Skotnicki - Oskar Schindler in the eyes of the Cracowian Jews, Krakau 2008 - Oskar Schindler (1908 - 1974)

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