Kapitel 12 - Warum wir uns erinnern müssen

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Video: Rede Mietek Pempers an der Universität Augsburg: „Mut zum Widerstand“, 2001.
Portrait Mietek Pemper
Portrait Mietek Pemper

„Doch die Menschen werden sich erst dann höher entwickeln, wenn das Prinzip der individuellen Verantwortung Schule macht, wenn Nicht-Mitmachen zu einer Tugend wird und blinder Gehorsam an Wertigkeit verliert. Wir alle tragen die Verantwortung für eine bessere Zukunft. Dazu gehört meines Erachtens, den anderen in unserer Gesellschaft, den Fremden, in unser Mitte zu akzeptieren.“ “

Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Schindlers Liste, Die Wahre Geschichte, Hamburg 2005, S.265

„Die trauerlose, schweigende Gleichgültigkeit, mit der Millionen von Menschen der Kriegsgeneration dem Judenmord, dem Mord an den Roma und Sinti oder an den Homosexuellen und Behinderten zusahen, darf nicht die unsere sein! Es genügt nicht zu wissen, dass sechs Millionen Juden feige ermordet worden sind –dieses Wissen muss auch in unser Herz einziehen, die Verbrechen der Nazis müssen uns Vermächtnis und klarer Auftrag sein, der schmerzende Stachel, der uns antreibt: Nicht nachzulassen im Kampf gegen die faschistische Ideologie, gegen Rassismus und Gewalt. Nur wenn das furchtbare Geschehen von damals unauslöschlicher Teil unseres Bewusstseins geworden ist, werden wir auch entsprechend reagieren können, wenn sich das Pendel wieder gefährlich in die Richtung faschistischer Herrschaftspraxis bewegen sollte.“

Johannes Sachslehner, Der Tod ist ein Meister aus Wien, Wien-Graz-Klagenfurt 2008, S. 10

„Auch wer Goethe liest und Richard-Wagner Opern hört und von Kant schwärmt und von Schopenhauer, ist vor dem Blutrausch des Mordens nicht gefeit – der Holocaust führte das Gerede von der deutschen „Kulturnation“ ebenso ad absurdum wie jenes vom „Kulturland“ Österreich. Ja, die Schreie der Gemarterten und der Sterbenden sind nicht mehr hörbar, ihre Hilflosigkeit und Verlassenheit, ihre Verzweiflung und ihre Todesangst nicht mehr spürbar, wir, die Nachgeborenen, können nicht mehr helfen, nichts, nichts kann rückgängig gemacht werden. Wir können allenfalls die Opfer für die Untaten unserer Großväter und Großmütter, unserer Väter und Mütter um großmütige Verzeihung bitten. Wir können aber zuhören, wenn Überlebende erzählen, wir können unser Gewissen erforschen und zumindest die richtigen Schlüsse ziehen. Aus der Erinnerung wächst die richtige Erkenntnis: Die Archive des NS-Grauens eröffnen uns Dimensionen des Menschseins, die wir nicht wahrhaben wollen und die dennoch Wirklichkeit sind. An die Stelle des „Willens zum Nichtwissen“ (Wolfgang Sofsky) muss daher der Willen zum Wissen treten –nicht als lästige Pflicht und sinnentleertes Ritual der allseits geforderten political correctness, sondern als Selbstschutz.“

Johannes Sachslehner, Der Tod ist ein Meister aus Wien, Wien-Graz-Klagenfurt 2008, S. 11f

Inhaltsverzeichnis

Betretenes Schweigen der Deutschen

Mietek Pemper
Mietek Pemper

Mietek Pemper kam 1958 nach Deutschland. Seine Gesprächspartner zeigten wenig Interesse für sein Schicksal, oft stieß er auf betretenes Schweigen. Viele Deutsche versuchten, sich zu rechtfertigen, viele behaupteten, sie hätten Juden geholfen. Doch Mietek Pemper meint, dass es nur wenige Deutsche gab, die ihr Leben in Gefahr brachten, um Juden zu schützen. Noch immer wurde der Beitrag der Juden zur deutschen Kultur nicht einmal gesehen oder schlichtweg nicht bekannt.

Psychologische Beratung

Bild der Jagiellonen-Universität
Bild der Jagiellonen-Universität

Nachdem Pempers Rückkehr aus Brünnlitz nach Krakau trat er in den Verband “ehemaliger politischer KZ-Insassen“ ein. Da er unter einer Depression litt, nahm er das Angebot psychologischer Beratung an. Prof. Dr. Eugeniusz Brzezicki, Neurologe und Ordinarius an der Jagiellonen -Universität war selbst im KZ gewesen und erteilte Mietek Pemper den Rat: „Studieren Sie, arbeiten Sie, sinnieren Sie nicht![1]

Psychische Belastung bis zum heutigen Tage

Dank seiner starken psychischen Konstitution und mit Glück konnte Mietek Pemper eine Therapie im Krankenhaus vermeiden, deren Erfolg ohnehin ungewiss gewesen wäre. Dennoch, so gesteht Mietek Pemper, kommen die Erinnerungen bis zum heutigen Zeitpunkt immer wieder zurück:

Die Erinnerung an einige ...Szenen versuche ich durch Ablenkung zu unterdrücken, sobald sie sich, durch ein Datum, einen Jahrestag oder irgendeine Bemerkung ausgelöst, anbahnen. Ich kann ihre Grausamkeit auch nach so langer Zeit kaum ertragen, viel weniger noch schildern.“[2]

Schindlers Liste, der Film

Pemper und Steven Spielberg mit Widmung
Pemper und Steven Spielberg mit Widmung
Ausschnitt aus "Schindlers Liste"
Ausschnitt aus "Schindlers Liste"

Erst nachdem Mietek Pemper von Steven Spielberg zu den Dreharbeiten im April 1993 eingeladen worden war, erzählte er in der Öffentlichkeit über die Leidenszeit in den Konzentrationslagern und über die Rolle von Oskar Schindler. Seitdem wird er häufig zu Zeitzeugenveranstaltungen eingeladen.

Einladung von Steven Spielberg an Mietek Pemper nach Jerusalem vom Mai 1993
Einladung von Steven Spielberg an Mietek Pemper nach Jerusalem vom Mai 1993

Rede Mietek Pempers in Irsee 6-12-1996 (pdf)

Dramaturgische Freiheiten

Bild von Albert Hujer
Bild von Albert Hujer

Steven Spielberg fokussierte die Grausamkeit auf lediglich zwei SS-Leute, Amon Göth und Albert Hujer, da er meinte, dass der Zuschauer nicht überfordert werden dürfe. Als ein weiteres Publikumszugeständnis reduzierte er in seinem Film auch die Darstellung der Grausamkeiten der SS-Leute gegenüber Juden und den Kindern. Auch die Entstehungsgeschichte der Liste wurde aus dramaturgischen Gründen stark vereinfacht, aus dem gleichen Grund schuf er aus der Person Pempers und Stern eine Kunstfigur, ohne auf die komplexeren Hintergründe näher einzugehen. Aber es bleibt wenig glaubhaft, dass – wie im Film der Fall – die Namen von Schindler Izak Stern in die Schreibmaschine diktiert wurden, über 1000 Namen, deren Häftlingsnummern, Geburtsdaten sowie ihren Berufen. Mietek Pemper versuchte auch, Spielberg von der Kellerszene mit Amon Göth und Helene Hirsch abzubringen, da Göth die Rassengesetze völlig verinnerlicht hatte und die jüdischen Frauen daher vor Übergriffen seitens der SS und anderer Wachmannschaften weitgehend bewahrt wurden.

Pemper als Zeitzeuge an Schulen und Universitäten

Mietek Pemper, April 1999
Mietek Pemper, April 1999

Seit 1993 nahm Mietek Pemper an Zeitzeugengesprächen an verschiedenen Universitäten, Schulen, im Fernsehen und im Rundfunk teil. Aber am wichtigsten waren und sind ihm die Gespräche mit Jugendlichen. Diese haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, was damals geschah. Die Jugendlichen sind die Zukunft, es muss verhindert werden, dass sich Ähnliches jemals wiederholt. Mietek Pemper will den Jugendlichen verdeutlichen, dass die Juden keine Schafe waren, die sich willenlos zur Schlachtbank führen ließen. Die Juden waren Opfer „einer von langer Hand vorbereiteten Propaganda- und Täuschungsaktion, die die Voraussetzung lieferte für den perfekten Mord an Millionen von Menschen. Wir befanden uns in einem deutlich asymmetrischen Kräfteverhältnis gegenüber den Nazis Unbewaffnet waren wir der damals stärksten Militärmacht Europas ausgeliefert.“[3]


Mietek Pemper findet das Interesse und die Empathie der jungen Menschen vor allem durch seine sachliche, präzise und teilweise humorvolle Ausdrucksweise und auch deshalb, weil er zu Beginn seiner Internierung im KZ nur unwesentlich älter als die jungen Zuhörer von heute war. Bewundernswert für die Studenten ist die Form des intelligenten Widerstandes, mit welchem es ihm gelang, die SS und Göth auszutricksen und Plaszow vor seiner Liquidierung bewahren konnte.

Rede Mietek Pemper in Irsee 6-12-1996 (pdf)

Oft fehlte der Mut zur Befehlsverweigerung

Mietek Pemper vor der IKG München am 10.07.1994
Mietek Pemper vor der IKG München am 10.07.1994

In seinen Vorträgen erwähnt er immer den jungen SS-Mann Dworschak, der sich weigerte, einen menschenfeindlichen Befehl durchzuführen. Dworschaks Tat, nämlich den Erschießungsbefehl zu verweigern, zeigt, dass er die Unmenschlichkeit dieses Befehls erkannt hat und mutig daraus die Konsequenzen zog. Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man Menschen nicht wegen ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens oder ihres Berufes beurteilen sollte. Personen können und dürfen sich nicht hinter einem Befehl verstecken, das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit darf niemals ganz aufgehoben werden. Menschen muss man immer danach einschätzen, wie sie sich in schwierigen Lebenssituationen verhalten, ob sie sich für andere einsetzen oder nicht.[4]

Der bringt und auch nicht die Versöhnung fordert. Es gab selbst im Nationalsozialismus mitleidsvolle Menschen, die sich den Aufforderungen zu Aggression, Rohheit und Gewalt widersetzten. Viele Menschen wurden durch das verbrecherische System zu Straftaten verleitet, die sie unter normalen Bedingungen wahrscheinlich nicht begangen hätten. Für diese Schuld müssen sich die jeweils einzelnen verantworten.

Ablehnung der Kollektivschuld

Martin Buber
Martin Buber

Es gibt keine Kollektivschuld, kein Volk, keine Religion, keine Nation kann insgesamt verurteilt werden. Aber wichtig ist, dass das, was in Europa vor über 60 Jahren geschah, nicht vergessen wird:

Doch die Menschen werden sich erst dann höher entwickeln, wenn das Prinzip der individuellen Verantwortung Schule macht, wenn Nicht-Mitmachen zu einer Tugend wird und blinder Gehorsam an Wertigkeit verliert. Wir alle tragen die Verantwortung für eine bessere Zukunft. Dazu gehört meines Erachtens, den anderen in unserer Gesellschaft, den Fremden, in unser Mitte zu akzeptieren.“ [5]

Mit Martin Buber möchte Mietek Pemper einen realistischen ethischen Imperativ wirken lassen: „Nehmt Rücksicht auf die Schwächeren unter euch und tut eurem Nächsten Gutes. Denn wir Menschen sind gleichermaßen hilfsbedürftig und aufeinander angewiesen.“[6]

„Saeculum Horribile“

Mietek Pemper mit Hut
Mietek Pemper mit Hut

Mietek Pemper findet diese Bezeichnung für das 20. Jahrhundert in doppelter Bedeutung als zutreffend, als schrecklich und staunenswert: in dieser Polarität trifft dieser Begriff auf Göth und auf Schindler zu. Das Jahrhundert war einerseits bestimmt von der Reduktion der Kindersterblichkeit, andererseits stieg die Opferzahl im Vergleich der beiden Weltkriege ums sechsfache an. Viele Erfindungen des Menschen halfen, Leben zu retten, andererseits wurde in Europa ein Krieg geführt, in dem Millionen von Menschen aus rassistischen Gründen industriell ermordet wurden. Auch Mietek Pemper sah nach dem II. Weltkrieg Anlass zur Hoffnung, als Ralph Johnson Bunche als stellvertretender UN Generalsekretär für seine Friedensvermittlungen zwischen Israel, Jordanien, Syrien, Libanon und Ägypten 1950 den Friedensnobelpreis erhielt. Ein Schwarzer, ein Afroamerikaner, der Enkel eines Sklaven symbolisierte den Fortschritt im Denken der Menschen. Dieser Optimismus stellte sich als vielleicht naiv, aber sicher als verfrüht heraus.

Doch das sollte uns nicht davon abhalten, weiterhin unermüdlich zur politischen und menschlichen Sensibilisierung beizutragen und tagtäglich in einer Welt der Inhumanität deutliche Zeichen der Mitmenschlichkeit und der Versöhnung zu setzen. Contra spem spero. Entgegen der Hoffnung hoffe ich.“[7]

Mietek Pemper verstarb am 7. Juni 2011 in Augsburg. Wir wollen mit dieser Website die Erinnerung an diesen großen Mann wach halten.

Vorarbeiten zu Mietek Pempers Buch der rettende Weg (pdf)

Einzelnachweise

  1. Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 259
  2. ebenda
  3. Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 262
  4. ebenda, S. 264
  5. Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 265f
  6. ebenda, S. 266
  7. Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 268
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