Kapitel 15 - Göths "Sonderaufgaben": Selektionen ins Vernichtungslager

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Inhaltsverzeichnis

Liquidierung der Ghettos in Tarnow und Bochnia

Kinder begrüßen Wilhelm Koppe (links) und Heinrich Himmler (mitte) und Fritz Bracht (rechts)
Kinder begrüßen Wilhelm Koppe (links) und Heinrich Himmler (mitte) und Fritz Bracht (rechts)

SS-Obergruppenführer Wilhelm Koppe, Jahrgang 1896, im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz 1 und 2 ausgezeichnet, hat Friedrich-Wilhelm Krüger als Befehlshaber der SS- Oberabschnitts „Ost“ abgelöst. Mitte August 1943 beraumt er eine Besprechung an. Das Thema ist die „Liquidierung“ der Ghettos in Tarnow und Bochnia. Scherner bestimmt Göth zum Chef der Aktion in Tarnow. 200 Männer und 100 Frauen sollten als „Putztrupp“ im Ghetto zurückbleiben , 2000 Beschäftigte der Textilfabrik Madritsch nach Plaszów verlegt und einige hundert Arbeiter in das kleine Lager von Trzebinia westlich von Krakau gebracht werden , um hier neue SS-Werkstätten aufzubauen. Die „restlichen“ 6000 Menschen plant man in Auschwitz-Birkenau zu ermorden.

Das Ghetto in Tarnow

Aufnahme aus Tarnow
Aufnahme aus Tarnow
Arbeiter exhumieren die erschossenen Juden (Tarnow 1942)
Arbeiter exhumieren die erschossenen Juden (Tarnow 1942)

Bei Ausbruch des Krieges im September 1939 lebten noch an die 25.000 Juden in der Gemeinde Tarnows, etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung. 1941 richten die Nazis auch in Tarnow ein Ghetto ein, bis zum Frühsommer 1941 steigt die Zahl der Bewohner auf etwa 40.000 Juden. In einer ersten Aktion am 11. Juni 1942 werden 7000 Menschen umgebracht, 11.500 Menschen werden in Waggons verladen und in die Gaskammern von Belzec geschickt. Zum bedeutesten Arbeitgeber für die verbleibenden Juden im Ghettowird Julius Madritsch. Unter dem Vorwand eines dringenden Räumungsauftrages gelingt es Madritsch seinen Mitarbeitern Raimund Titsch in zwei Transporten am 25. und 26. März 1943, 232 Männer, Frauen und Kinder aus Plaszów nach Tarnow überstellen zu lassen. So wie Schindler in der Emalia sorgt auch Madritsch für seine Arbeiter mit Sonderzuteilungen an Lebensmitteln, Kleidung und Schuhwerk. Mit Hilfe von Dr. Michael Weichert von der jüdischen Unterstützungsstelle organisiert man einen ärztlichen Hilfsdienst und wichtige Medikamente. Madritsch findet Rückhalt bei der Wehrmacht, die seinen Rüstungsbetrieb vor Übergriffen durch die SS schützen.

Die Liquidierung des Ghettos

Das Rote Haus Göths
Das Rote Haus Göths

Für SSPF Julian Scherner und Göth ist die „ Liquidierung“ des Ghettos in Tarnow beschlossene Sache. Göth hatte einen Plan wie er Madritsch auf Distanz halten kann: Er lädt den Unternehmer zusammen mit Raimund Titsch für den 1. September 1943 zu sich zum Abendessen ins „Rote Haus“ ein. Gleich zu Beginn offenbart er ihnen, dass noch in der kommenden Nacht das Ghetto „umgesiedelt“ werde, die Gäste aber sollten bis zum Morgen bei Ihm zu Gast verweilen. Göth entschuldigt sich und bricht mit seinen Leuten in Richtung Tarnow auf. Madritsch und Titsch müssen in der Gesellschaft von Scherner und anderer SS-Offiziere bleiben. Um fünf Uhr morgens können sie die Wohnung Göth verlassen. Mittlerweile ist die Aktion angelaufen, um 3 Uhr morgens haben SS-Leute das Ghetto umstellt. Göth versichert Madritsch, dass „seinen Leuten“ nichts passieren würde.

Verlagerung aus dem Ghetto nach Plaszów?

Ähnliches passierte auch in Krakau: Abtransport in den Tod
Ähnliches passierte auch in Krakau: Abtransport in den Tod
Hujowa Gorka, der Hinrichtungsplatz in Plaszow
Hujowa Gorka, der Hinrichtungsplatz in Plaszow

Um 7 Uhr trifft Göth in Ghetto ein. Göth erklärt, dass alle ins Lager von Plaszów kommen würden. Es sei sinnvoll, alle Wertsachen mitzunehmen. Er gibt den Befehl, dass alle Bewohner des Ghettos A , in dem die arbeitenden Juden wohnen , sich ins Ghetto B zu begeben haben und sich in den gewohnten Arbeitstruppen aufstellen sollen , jede Truppe mit einer Tafel, also „ Madritsch“, „Ostbahn“ usw. Wer sich zu langsam bewegt, wird von ihm sofort erschossen. Darunter auch die Frau des Chaskiel Klappholz. 300 Mitglieder werden als „Säuberungskolonne“ ausgewählt sich auf dem Terrain der Singer-Fabrik zu sammeln. Die Verlobte eines Juden bittet ihn um Erlaubnis, bei ihrem Verlobten bleiben zu dürfen. Göth lehnt ab aber die Frau fleht ihn nochmals an. Daraufhin befiehlt er ihr, sich umzudrehen und schießt ihr in den Kopf.

Selektion nach Auschwitz

Selektion von Juden aus verschiedenen Ghettos
Selektion von Juden aus verschiedenen Ghettos

2000 Arbeiter für Plaszów werden zum Bahnhof gebracht und in die Güterwaggons verladen. Die Todgeweihten bleiben auf dem Magdeburger Platz zurück. Nachmittags führt man sie in Gruppen zum Bahnhof, wo sie auch in Waggons geschafft werden, bis zu 160 Juden in einen Waggon. Die Belüftungsschächte werden vernagelt, sodass bereits viele auf dem Weg nach Auschwitz sterben. Die Wagons werden von Göths „Affe“ Franz Grün kontrolliert.

Kaltblütiger Mord an Kleinkindern und deren Eltern

Als er aus einem der Waggons Kinderweinen vernimmt, lässt er die Tür nochmals öffnen und klettert in den Waggon. Die 15-jährige Erna Birnbaum wird Zeugin des Geschehens: Franz Grün drängt die Menschen zur Seite und steuert auf eine Frau namens Müller zu. Die Frau hat in einem Sack mit Bettzeug ihr eineinhalbjähriges Kind verborgen, das noch immer weint:

Grün ..... zieht seine Pistole und schlägt mit dem Griff der Waffe so lange auf den Sack ein, bis das Schreien des Kindes verstummt ist. Dann zieht er das Kind mit der linken Hand aus dem Sack, mit der Rechten setzt er die Pistole am Kopf des Kindes an und erschießt es, anschließend wirft er die Leiche durch die Tür auf den Bahnsteig.“[1] Beim Anblick des Mordes an ihrem Kind fällt die Mutter in Ohnmacht. Erna Birnbaum berichtet, dass sie in Plaszów ums Leben kommt.

Die SS- Schergen halten weitere 50 Frauen und Männer zurück, die ebenfalls versucht hatten, ihre Kleinkinder aus dem Ghetto zu schmuggeln. Zusammen mit ihren Kindern werden sie zurück auf den Magdeburger Platz gebracht. Der Metallarbeiter Leon Leser beobachtet den Mord an diesen Menschen: Göth befiehlt einem Ehepaar mit seinen zwei kleinen Kindern in eine kleine Sackgasse zu gehen und erschießt sie. Dann werden Gruppen zu jeweils 4 Personen erschossen, jeweils durch Amon Leopold Göth. Nicht alle Opfer sind tot, manche heben die Hand, bewegen sich
Kinder im KZ Auschwitz
Kinder im KZ Auschwitz

Am Dachboden eines Gebäudes neben dem Magdeburger Platz hält sich die 30-jährige Jüdin Erna Landau verborgen, die von einem OD-Mann gewarnt worden ist. Von ihrem Versteck aus sieht sie, wie ein etwa 6-jähriger Junge zu fliehen versucht, Göth ihn aber zurückruft: ’Komm, komm, hab keine Angst!’ Der Junge zieht noch einen Spiegel und andere Kleinigkeiten aus der Tasche, die ihm Göth lächelnd mit der ausgestreckten linken Hand abnimmt, mit der rechten erschießt er Sekunden später das Kind. Erna Landau zählt 54 Opfer.“[2]

Auf der Stelle erschossen werden auch jene Juden, die man noch in den Häusern und verschiedenen Verstecken entdeckt. Erna Landau verbringt 5 Tage ohne Essen auf dem Dachboden, dann hält sie sich in einem Kamin verborgen. Erst Ende Januar 1944 wird sie zusammen mit ihrer Tochter nach Plaszów gebracht, Am 14 Mai 1944 findet sich der Name ihrer Tochter auf der Liste der Kinder, die nach Auschwitz austransportiert werden sollen…

Madritschs Hilfe für Bedrängte und die Korruptheit der SS

Bild einer der Werkstätten, die Madritsch auf dem KZ Gelände errichten ließ
Bild einer der Werkstätten, die Madritsch auf dem KZ Gelände errichten ließ

In zähen Verhandlungen setzt Julius Madritsch durch, dass er seine Werkstätten und Baracken direkt auf dem Gelände des Zwangsarbeitslagers einrichten darf. Am 14 September 1943 wird ein „ bis zum Kriegsende“ gültiger Vertrag zwischen ihm und SSPF Julian Scherner unterzeichnet. Göth tritt in den Gesprächen mit Scherner für ihn ein und ermöglicht diesen „einzig dastehenden Erfolg“.[3] Die Vergünstigung für seine Arbeiter sind beachtlich: Die Madritsch- Baracken gelten als neutraler Boden. Er darf Leistungsprämien in Form von Lebensmitteln ausgeben. Madritsch kann zusätzlich etwa 6000 Laib Brot, Marmelade, sogar Zigaretten und andere heiß begehrte Dinge ins Lager bringen bzw. schmuggeln. Den Mehraufwand für die Zusatzversorgung, etwa 250.000 Zloty monatlich, versucht Madritsch, ähnlich wie Oskar Schindler durch den Verkauf , „eingesparter“ Ware zu finanzieren. Die SS lässt sich diese Großzügigkeit natürlich etwas kosten: Monatlich zahlt Madritsch etwa 350.000 Zloty dazu. Hinzu kommen „Aufmerksamkeiten“ für Göth und eine Reihe weiterer SS-Offiziere sowie für OD-Chef Chilowicz, den Meister in der „Erpressung ständiger Sonderzuwendungen“.

Nach den Ghettos von Tarnow und Bochnia werden die letzten jüdischen Lager in Rzeszow und Przemyslliquidiert“, auch dort beteiligte sich Göth als „Organisator“.

Einzelnachweise

  1. Erna Birnbaum, zitiert nach Johannes Sachslehner, Der Tod ist ein Meister aus Wien, Wien-Graz-Klagenfurt, 2008; S. 234f
  2. Erna Lehner, zitiert nach Johannes Sachslehner, a.a.O., S. 236
  3. Julius Madritsch, Menschen in Not! Meine Erlebnisse in den Jahren 1940-1944 als Unternehmer im damaligen Generalgouvernemt; Wien 1962; J. Sachslehner,a.a.O., S. 237
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