Kapitel 5 - Der Trick mit den Produktionstabellen

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Mietek Pemper
Mietek Pemper
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„Ohne die fingierten Tabellen hätte es keine Liste und kein Brünnlitz gegeben“

Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Schindlers Liste, Die Wahre Geschichte, Hamburg 2005, S.226

Inhaltsverzeichnis

Kriegswichtigkeit der Lager

KZ Plaszow
KZ Plaszow
Die Ermordung der Juden in Europa war beschlossene Sache, aber erst sollte noch ihre Arbeitskraft ausgebeutet werden. Zwischen Herbst 1943 und Frühjahr 1944 wurden einige Ghettos und Lager aufgelöst, da diese über keine „kriegswichtigen“ –Betriebe verfügten. Mietek Pemper wollte das Lager Plaszow vor seiner Auflösung bewahren und die „Kriegswichtigkeit“ des Lagers betonen, damit keine weiteren Juden aus diesem Lager deportiert werden würden.

Oskar Schindlers Hilfe

Oskar Schindler (1972)
Oskar Schindler (1972)
Ohne Oskar Schindlers Mut und ohne seinen kontinuierlichen Einsatz für die Juden in Krakau-Plaszów, später auch in Brünnlitz, wäre dies alles nicht möglich gewesen. Mietek Pemper konnte aber Oskar Schindler nicht expressis verbis mitteilen, worum es ging, über seine geheimen Informationen sprach er mit Schindler nur andeutungsweise.

Schindler besaß Kontakte zur Rüstungsproduktion und zur Wehrmacht und hatte das nötige Geld, Mietek Pemper den Einblick in geheime Unterlagen. Diese Umstände waren entscheidend dafür, dass das Arbeitslager Krakau-Plaszow bis Ende 1943 nicht frühzeitig aufgelöst wurde, obwohl ca. 80% der Betriebe Schneiderei- und Textilproduktionen waren, d.h. keine „kriegswichtigen“ –Betriebe.

Im Herbst 1944 vollbrachte Schindler dann sein Meisterstück, als der gesamte Maschinenpark und 1000 seiner jüdischen Arbeitskräfte nach Brünnlitz verlegt werden konnten, hinzu kamen noch Juden aus anderen Lagern und/oder Gefängnissen.

Schindlers Liste

Auszug aus Schindlers Liste
Auszug aus Schindlers Liste
Bei jedem Zugang musste die Liste der Häftlinge durch Zusatzblätter ergänzt werden. Die Liste erhielt dann das aktuelle Datum und wurde an das KZ-Stammlager Groß-Rosen weitergeleitet. Es gab also keine einzelne „Liste“, sondern mehrere sich aufeinander beziehende Listen. Gemäß den ständig revidierten Listen hatte schließlich Schindler die entsprechenden Tagessätze pro angegebenen Arbeiter an das SS-WVHA zu bezahlen.

Am Ende ergab sich eine Zahl von 1.200 Menschen, die durch diese Liste gerettet wurden. Neben den Häftlingen aus Plaszow waren noch jene gerettet worden, die im Winter dank der Intervention Schindlers im Winter 1944/45 nach Brünnlitz kamen. Mietek Pemper hatte in der Kommandanturbaracke Einsicht in die Produktionsziffern der einzelnen Werkstätten und Betriebe, in die Engpässe und in den Mangel an Arbeitsaufträgen. Aufzeichnungen hierüber konnte sich Mietek nicht machen, aber er verfügte seit frühester Kindheit über ein hervorragendes Gedächtnis. „Arbeit“ war gleichbedeutend mit „Überleben“. Bis zum Sommer 1943 bot jede Form der Arbeit Schutz vor Selektion. Ende Juli 1943 entnahm Mietek Pemper aber aus den Geheimakten, dass sofortiger Handlungsbedarf bestehe.

Russische Gegenoffensive nach Kapitulation deutscher Truppen vor Stalingrad bedingt Umdenken bei der SS und Wehrmacht

Bis zum Sommer 1943 war die Rote Armee bereits in die Nähe der Vorkriegsgrenze von Polen vorgedrungen. Deswegen wurden im Großraum Lublin und Warschau jüdische Arbeitslager aufgelöst, die über keine „kriegswichtigen“ Produktionsbetriebe verfügten. Göth interessierte sich nun insbesondere für die Berichte der Metallbetriebe wie Klempnerei und Schlosserei. Lager Plaszów hatte abgesehen von den Großschneidereien, die für die Wehrmacht arbeiteten keine Bedarfsgüter für die Front.

Welche Maschinen können kriegswichtige Artikel produzieren?

Izak Stern und Oskar Schindler beim Treffen in Paris, 1949
Izak Stern und Oskar Schindler beim Treffen in Paris, 1949
In der Folge bat Pemper Oskar Schindler um technische Datenblätter seiner Metallbearbeitungsmaschinen. Von den Vorarbeitern in den Metallwerkstätten forderte Pemper detaillierte Listen an, welche Produkte mit den vorhandenen Maschinen für den direkten Kriegsbedarf bei entsprechenden Aufträgen und Materiallieferungen hergestellt werden könnten. Die Vorarbeiter vertrauten Mietek und stellten ihm keine weiteren Fragen.

Erfolgreiche Auftragssicherung für die Papierverarbeitungsabteilung

Bereits früher hatte Pemper dem Papierverarbeitungsbetrieb im KZ Plaszow wieder zu Aufträgen verholfen, indem er dafür gesorgt hatte, dass das KZ Plaszow wieder mit Hebelmechaniken versorgt wurde. Somit rettete er den dort tätigen Arbeitern ihre Arbeitsstelle und indirekt ihr Leben. Eingedenk dieser Tatsache konnte Mietek Pemper mit dem unbedingten Vertrauen und der Kooperationsbereitschaft der Vorarbeiter rechnen. Sie machten ihm zahlreiche Vorschläge, welche Produkte sie herstellen und für die Wehrmacht von Interesse sein könnten.

Mietek Pempers Ausweis mit Bild
Mietek Pempers Ausweis mit Bild

Pemper lässt sich nicht korrumpieren

Mietek Pemper (2007)
Mietek Pemper (2007)
Mit dem Näherrücken der russischen Front geriet Göths Stellung und davon abhängig auch die von Pemper in Gefahr, der bereits viele Mitwisser seiner Verbrechen beseitigt hatte. Pemper rechnete fest mit seiner Liquidierung durch Göth und wurde nach dem Krieg von Schindler in seiner Einschätzung bestätigt. Im Umgang mit Göth und seinen Mithäftlingen gab sich Pemper möglichst unauffällig, beharrte auf der Häftlingsuniform und vermied Privilegien. Er wollte auch nicht wie manche Lagerpolizisten in fataler Fehleinschätzung Ordnungsdienstuniform tragen. Viele dieser Konfidenten hofften auf die Gunst der SS, verrieten Mithäftlinge, verhielten sich arrogant und hochmütig, wurden aber dennoch von der SS als lästige Mitwisser früher oder später umgebracht.

Der Jude Wilek Chilowicz war Göth geradezu hörig und glaubte, dass ihnen seitens der SS keine Gefahr drohe. Chilowicz versuchte auch Mietek zum Tragen der OD-Uniform zu überreden. Mietek Pemper konnte bei Göth durchsetzen, dass er seine Häftlingskleidung weiterhin tragen durfte. Für Mietek Pemper war dies eine Frage der Selbstachtung und Würde. Gleichzeitig hatte er nach Kriegsende auch keinerlei Skrupel, gegen Göth auszusagen. Pemper hatte sich durch die Nähe zur Macht nicht kompromittieren lassen.

Von der „kriegswichtigen“ zur „siegentscheidendenden“ Produktion

General Oswald Pohl
General Oswald Pohl

Nach Einsicht in die Dienstkorrespondenzen erhielt Pemper Kenntnis einer Verfügung des obersten Chefs des Wirtschaftsbereiches der SS, General Oswald Pohl, dass nur diejenigen jüdischen Arbeitslager zu erhalten seien, die eine siegentscheidende Produktion nachweisen könnten.

Instinktiv folgerte Pemper daraus, dass es nun darauf ankomme, im Lager einen Beitrag zur Rüstungsproduktion zu leisten. Ohne Schindler wegen dessen Leichtsinn und Vertrauensseligkeit in alle Details einzuweihen, drängte Pemper ihn dazu, neben seiner Emailproduktioneine reine Rüstungsproduktion aufzubauen: „Herr Direktor Schindler, mit Emailtöpfen allein kann man keinen Krieg gewinnen. Es wäre schön, wenn Sie in Ihrer Fabrik eine richtige Rüstungsabteilung hätten, damit Ihre Leute sicher sind.“[1]

Ohne den Coup Mietek Pempers hätte es „Schindlers Liste“ nicht gegeben

Mietek Pemper
Mietek Pemper
Schindler verstand den Fingerzeig und baute ab sofort die Rüstungsproduktion in seiner Firma verstärkt aus, u.z. vor allem die Herstellung von Granatenteilen.

Tatsächlich verfügte das SS-WVHA im Sommer 1944, dass nur der Teil von Schindlers Fabrik ins Sudetenland verlegt werden solle, der Granatenteile herstellte. So kamen alle Personen von der Abteilung MU (Tarnbezeichnung für Mundlochbüchse) auf die Liste und nicht die, welche bei der Emailwaren fertigung eingesetzt waren.

Ohne die Entscheidung Schindlers, verstärkt Granatenteile zu produzieren, hätte es die Rettungsaktion „Schindlers Liste“ nicht gegeben. Bedenkt man aber, wie es zu diesem Entschluss kam, muss man Mietek Pemper einen erheblichen Anteil an der Rettung der „Schindlerjuden“ zugestehen. Ohne Mietek Pemper hätte es die Verlagerung der siegentscheidenen Produktion ins Sudetenland nicht gegeben.

KL mit höchster Priorität: Interessensidentität der Häftlinge mit dem Lagerleiter Göth

Amon Göth
Amon Göth
Ebenfalls aus der Dienst korrespondenz war Mietek klar, dass innerhalb des deutschen Lagersystems die zwanzig KZ im Hinblick auf Versorgung und Erhaltung höchste Priorität besaßen. Gelang es also, das Zwangsarbeiterlager in ein KZ „hoch zu stufen“, würde dies die Chancen zum Überleben für die Insassen erhöhen.

Die Erhaltung des Lagers war auch im Sinne von Amon Göth, der mittlerweile 120 kg wog und an Diabetes litt und keinesfalls an die Front versetzt werden wollte. Eine Schließung des Lagers hätte für ihn auch den Verlust an Privilegien bedeutet, Verlust auf Luxus und Schwelgerei, Verlust seines Titels des „Lagerkommandeurs“.

Als Göth Mietek Pemper im August 1943 aufforderte, eine Liste zu erstellen, was die Betriebe der Metallbranche produzieren oder bei Bedarf herstellen könnten, ergriff Mietek die Chance. Dank seiner Einsicht in die Geheiminformationen in die Pläne der Nazis wusste er genau, was die Nazis als siegentscheidend betrachteten. So forderte er von Schindler Datenblätter zu seinen Maschinen und deren Kapazitäten.

Der Trick mit den Produktionslisten

Gleichzeitig sollten die Betriebsleiter Beispiele für Produkte nennen, die ihre Maschinen herstellen könnten, zugleich Angaben über Materialarten, monatlich herzustellende Stückzahl, Formate und Ausstattungsvariationen. Durch eine solche Informationsfülle und Detailgenauigkeit wollte Pemper Aufsehen erregen und beeindrucken.

Göth war anfangs keineswegs überzeugt und glaubte weder daran, dass diese Waren produziert noch daran dass sie in solcher Menge produziert werden könnten. Pemper konnte aber Göth davon überzeugen, dass es Alternativen, die jeweils mit „od.“ gekennzeichnet waren, gäbe. Dies war auch genau, was Göth haben wollte. Sofort erkannte er den Wert der Tabellen an sich, für seine Zukunft und für das Lager.

Ausweis Mietek Pempers von der Handelsakademie Krakau aus dem Jahr 1949
Ausweis Mietek Pempers von der Handelsakademie Krakau aus dem Jahr 1949

Entscheidung über den Fortbestand der Lager im September 1943

Oscar Schindler
Oscar Schindler
Mietek Pempers Kalkulation erwies sich als richtig. Göth war beeindruckt von dem „Zahlenwust im Querformat“, seine Vorgesetzten waren es auch, es wurden keine unnötigen Fragen gestellt noch das „od.“ entdeckt. Wichtig allein war, dass die Bedeutung des Lagers für die Kriegswirtschaft belegt und dessen Auflösung verhindert wurde. [2]

Das Lager Plaszow blieb bestehen, und somit erhielten fast 20 000 jüdische und polnische Häftlinge eine Chance, weiter am Leben zu bleiben. Ohne die fingierten Produktionslisten vom Spätsommer 1943 hätte jedem Häftling der Tod gedroht, es wäre nicht zur Rettungsaktion von Oskar Schindler im Oktober 1944 gekommen. Darin liegt der gar nicht zu überschätzende Beitrag Mietek Pempers.

Auflagen für das neue KZ

Plan des KZ Plaszow
Plan des KZ Plaszow
Die Entscheidung über den Fortbestand des Lagers Krakau-Plaszow erfolgte im Oktober 1943. Pohl schrieb, die Übernahme sei nur unter der Bedingung durchzuführen, dass General Krüger (der Höhere SS- und Polizeiführer Ost) seine Mannschaften nicht abziehen dürfe, da er selbst keine Bewachungsmannschaften stellen könne. So verrichteten die vormaligen ZAL-Wachleute weiterhin ihren Dienst im KZ. Pemper musste natürlich über die Zusammenhänge zwischen Geheimdienstinformationen, Produktionslisten und der Erhaltung des Lagers absolutes Stillschweigen bewahren. Selbst nach dem Krieg sprach er nur im Kreise weniger Vertrauter über dieses Thema:

Ich war dem Schicksal sehr dankbar, dass ich während des Krieges an einer Stelle stand, an der ich etwas tun konnte, um Menschenleben zu retten.“[3]

Einzelnachweise

  1. Pemper, S. 120
  2. 1.verantwortlich für die Übernahme dieser Lager in den Dienstbereich der Amtsgruppe D des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes eingesetzt. Einzelheiten bespricht er mit SS-Obersturmbannführer Schellin, SS-Obersturmbannführer Maurer und SS-Obersturmführer Dr. Horn. Es ist anzustreben, Lager mit geringer Belegungsstärke und solch mit nicht kriegswichtiger oder siegentscheidender Fertigung aufzulösen. Oswald Pohl, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS. (zitiert nach Pemper, S. 126-127)
  3. Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 128
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