Kapitel 7 - Plaszow wird zum Konzentrationslager

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„Doch Göth konnte mich jederzeit beseitigen. Lediglich Oskar Schindler war zu unserem Glück seinem Schein-Freund Göth nicht nur gewachsen, sondern auch charakterlich und moralisch haushoch überlegen“

Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Schindlers Liste, Die Wahre Geschichte, Hamburg 2005, S.170

KZ Plaszow, Zeichnung von Josef Bau
KZ Plaszow, Zeichnung von Josef Bau
Das Lager Krakau-Plaszów, Steinbruch
Das Lager Krakau-Plaszów, Steinbruch
Plan des KZ Plaszow
Plan des KZ Plaszow
KZ Plaszow, Sicht auf die Barracken
KZ Plaszow, Sicht auf die Barracken
Dokument zur Umwandlung von Krakau-Plaszow, Lemberg, Lublin und Radom in ein Konzentrationslager, 13.1.1944; Blatt 1; 2; 3; 4; 5; 6
Dokument zur Umwandlung von Krakau-Plaszow, Lemberg, Lublin und Radom in ein Konzentrationslager, 13.1.1944; Blatt 1; 2; 3; 4; 5; 6


Inhaltsverzeichnis

„Man muss Fuchs sein und ein Löwe“ (Nicccolo Machiavelli)

Die Juden hatten nicht viele Handlungsalternativen unter dem NS-Terror. Pemper wollte mit List überleben und so viele Menschenleben wie möglich zu retten. So perfekt die Terrormaschinerie auch nach außen wirkte, so gab es dennoch Lücken, die man nutzen konnte. Hatte man akzeptiert, dass ein Jude ein „moriturus, ein Todgeweihter“ war, änderte sich die Denkweise.

Die Verzweiflung macht mutig, die Hoffnung feig.“[1]

Mietek Pemper
Mietek Pemper
Nathan und Leontyna Stern
Nathan und Leontyna Stern

Mietek Pemper gewöhnte sich im KZ gemäß diesem Leitsatz eine Gelassenheit an, die es ihm ermöglichte, seiner Familie und anderen zu helfen. Im Lager gab es viele, die sich gegen die Unterdrücker auflehnten, z.B. Nathan Stern, der jüngere Bruder von Izak Stern. Er verfasste einen handschriftlichen Bericht an das American Jewish Joint Distribution Comittee über die Zustände im Lager. Oskar Schindler überreichte diesen Bericht zwei Vertretern des AJDC im November in Budapest. Stern hoffte, dass dieser Bericht der polnischen Exilregierung in London übermittelt werden würde. Schindler brachte 50 000 Reichsmark für Krakauer Juden im Lager mit. Mit diesem Geld konnten sich die Außenkommandos heimlich für sich und ihre Familien etwas zu essen kaufen. Schindler brachte immer neue Situationsberichte nach Warschau und leitete immer wieder Geldbeträge und Briefe an interne Vertrauensleute im Lager, welche diese dann verteilten.

So wenig wie möglich voneinander zu wissen war stets der beste Schutz[2], denn es bestand ja stets die Gefahr, gefoltert zu werden. So wenig wie die Sterns den Report mit Pemper besprachen, so wenig sprach Pemper mit ihnen über die fingierten Produktionslisten .

Schindlers Koffer

Das private Reitpferd gehört zum Lebensstil der deutschen Herren in Krakau
Das private Reitpferd gehört zum Lebensstil der deutschen Herren in Krakau
Die Bekenntnisse des Herrn X. Seiten:1 • 2;3 • 4;5 • 6;7
Die Bekenntnisse des Herrn X. Seiten:12;34;56;7

Der im Jahr 1999 in Hildesheim gefundene Koffer enthält zahlreiche Dokumente über das Lager Krakau-Plaszow und Schindlers Rettungsaktionen . Ein Dokument trägt den Titel „Die Bekenntnisse des Herrn X.“ Der Bericht war von einem Mitglied des AJDC verfasst und berichtet über ein Gespräch mit Oskar Schindler, der ihnen Auskunft über „das Schicksal der wenigen noch in Polen verbliebenen jüdischen Lagerhäftlinge“ gab.[3] Gemäß dem Brief wurden die jüdischen Arbeiter „laut den bestehenden Verordnungen von ihren Arbeitsplätzen ...... zu ihrem Lager von Wachen mit schussbereiten Waffen begleitet.“[4]

Daher bekam der Fabrikbesitzer keine weiteren jüdischen Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Dies war eindeutig der von SS-Hauptscharführer Albert Hujer diktierte Brief an Oskar Schindler, den Pemper am 28. März 1943 schrieb, der dann Schindler veranlasste, sofort Kontakt zu Amon Göth aufzunehmen. Der Bericht schilderte sodann die Bemühungen Schindlers, Göths Freundschaft zu gewinnen, um für die Juden tätig sein zu können.[5] Schindler gelang es sogar, Göth zu überreden, den Zahnarzt Dr. Sedlatschek, Schindlers Vertrauensmann einen Rundgang durchs Lager Plaszow zu genehmigen.

Deutschen Emailwarenfabrik DEF in Krakau: Liste der Mitarbeiterfamilien

Antisemitismus und Immunhaltungen

General Oswald Pohl in Auschwitz
General Oswald Pohl in Auschwitz

Laut Anordnung von General Pohl wurde Krakau-Plaszow am 22. Oktober 1943 zum Konzentrationslager. Als anlässlich eines Besuches des Duzfreundes von Amon Göth, SS-Untersturmführer Josef Neuschel eine Pistole (mit Reparaturauftrag und Quittung) gefunden wurde, nutzte Göth dies für eine Machtdemonstration. Er ließ 10 von 15 jüdischen Bürokräften erschießen. Pemper intervenierte und konnte unter Mithilfe des gehbehinderten SS-Mannes Ruge das Leben einer Frau retten.[6]


Viele der SS-Mannschaften hatten bisher noch keine Juden gesehen, denn Anfang der 40-er Jahre wurden ganze Landstriche „judenfrei“ gemacht. Bei den jungen Menschen stieß die Propaganda und die anti-semitischen Schulungsbriefe auf große Resonanz, die SS-Leute wurden indoktriniert und machten sich ein Bild von den Juden als „Gestalten, die zwar wie ein Mensch aussahen, aber dieses Aussehen täuschte, sie waren mit ihnen, den ‚Herrenmenschen’ nicht vergleichbar.“[7]

Der "Untermensch"

Nach dem Krieg fand Pemper einen der perfiden Texte folgenden Inhaltes: „Der Untermensch – jene biologisch scheinbar völlig gleichgeartete Naturschöpfung mit Händen, Füßen, und einer Art von Gehirn, mit Augen und Mund, ist doch eine ganz andere, eine furchtbare Kreatur, ist nur ein Wurf zum Menschen hin, mit menschenähnlichen Gesichtszügen – geistig, seelisch jedoch tiefer stehend als jedes Tier. Im Inneren dieses Menschen ein grausames Chaos wilder, hemmungsloser Leidenschaften: namenloser Zerstörungswille, primitivste Begierde, unverhüllteste Gemeinheit. Untermensch – sonst nichts!“[8]

Es gab auch mutige Menschen

Aber es gab auch unter den SS-Männern Menschen, die immun gegen die NS-Propaganda geblieben waren und Menschlichkeit zeigten. Exemplarisch hierfür steht das Mitglied der SS-Leibstandarte Dworschak. Im Frühjahr 1943, kurz vor einer Besprechung in Krakau machte Dworschak Amon Göth Meldung davon, dass eine junge Frau bei einer Überprüfung in der Krakauer Innenstadt mit gefälschten Papieren angetroffen und verhaftet worden sei. Sie sei Jüdin. Die Frau stand ca. 150 m von Göth, Pemper und Dworschak entfernt. Göth erteilte Dworschak den Befehl, sie und das Kind zu erschießen.

Dworschak widersetzt sich dem Befehl

Dworschak verweigerte den Befehl: „Das kann ich nicht“. Göth brüllte Dworschak an und drohte ihm mit allen Strafen der Hölle:

Auch mir stockt beinahe der Atem. Das kann als Befehlsverweigerung gelten! Und das bei Göth! Bei einem Vorgesetzten, der sich als Herr über Leben und Tod gefällt, für den ein Menschenleben nichts gilt. Dworschak stammelt nur immer wieder: ‚Das kann ich nicht ...das kann ich nicht ...’ Schließlich lässt Göth Dworschak wegtreten.“ [9]

Milde Bestrafung Dworschaks

Göth diktierte daraufhin eine Personalnotiz, dass der Wachhabende Dworschak wegen Belügen eines Vorgesetzten bestraft werden solle. Dworschak bekam für einige Monate Beförderungssperre und einige Wochen Ausgangssperre. Mehr geschah ihm nicht.

Befehlsnotstand nicht gegeben

Umwandlung Sobibors in KZ gegen Pohl und Globocnik  Belassung Sobibors als Durchgangslager  WVHA Pohl 7-9-43 AL in KZ  Teil 1 • Teil 2 • Teil 3
Umwandlung Sobibors in KZ gegen Pohl und Globocnik Belassung Sobibors als Durchgangslager
WVHA Pohl 7-9-43 AL in KZ Teil 1Teil 2Teil 3

Nach dem Weltkrieg hörte man häufig die Rechtfertigung: „Wenn ich den Befehl nicht befolgt hätte, wäre ich selbst im KZ gelandet.“ Das ist nach den neuesten Erkenntnissen nicht aufrecht zu erhalten.

Das stimmte so nicht oder zumindest nicht immer. Nur, die Menschen in ihrer jeweiligen Situation wussten nicht, was ihnen drohte, und schon diese Ungewissheit und Angst machten sie stumm und gefügig. Allerdings weiß ich nicht, wie eine Befehlsverweigerung etwa in Frontnähe eingestuft worden wäre, oder wenn sich ein Soldat geweigert hätte, einen Partisanen zu erschießen.“[10]

Belohnungen für Exekutivkommandos

Die Frau mit Kind wurde noch am selben Nachmittag erschossen. Ungefragt rechtfertigte sich Polizeioberwachtmeister Wenzel bei Pemper für seine Tat in fast weinerlichem Ton: „Was sollte ich denn machen? Das war doch ein Befehl.“[11]

Für Erschießungen gab es für die SS-Exekutionsmannschaften zusätzlich Schnaps und Zigaretten. Im Lager Plaszow waren es immer die gleichen 10-20 Männer, die bereit waren, zum Tode verurteilte Lagerinsassen oder polnische [[wikipedia:de:Widerstand_(Politik)|Widerstandskämpfer] zu ermorden.

Neue Richtlinien für die KZ

Am 30. April 1942 hatte General Pohl dem Chef seiner Amtsgruppe D des SS-WVHA in Oranienburg, General Richard Glücks und allen anderen KZ-Lagerkommandanten die neuen Bestimmungen mitgeteilt, wonach der Lagerkommandant allein für den Einsatz der Arbeitskräfte verantwortlich war. Dieser solle im „wahren Sinn des Wortes erschöpfend sein, um ein Höchstmass an Leistung zu erreichen.“[12] Die Zuteilung von Arbeiten erfolge nur durch den Chef der Amtsgruppe D selbst, die Lagerkommandanten selbst, „dürfen eigenmächtig keine Arbeiten von dritter Stelle annehmen, noch Verhandlungen hierüber führen.“[13] Unter Punkt 8 kam Pohl auf die Qualifikation der Kommandanten zu sprechen: “ Er muss klares fachliches Wissen im militärischen Sinn und wirtschaftlichen Dingen verbinden mit kluger und weiser Führung der Menschengruppen, die er zu einem hohen Leistungspotential zusammenfassen soll.“[14] Göth hatte Nachholbedarf in administrativer Hinsicht, daher besuchte er gerne andere KZ und kehrte mit neuen Ideen zurück. Die Idee zur Errichtung eines Bordells im Lager konnte Mietek Pemper ihm ausreden, ebenso die Tätowierung der Gefangenen.

Allmacht und Willkür Göths als Kommandant

Kommandant Amon Göth, halb angekleidet mit seinem Gewehr am Balkon Seiner Villa
Kommandant Amon Göth, halb angekleidet mit seinem Gewehr am Balkon Seiner Villa

Göth gefiel sich in seiner Allmacht und schüchterte Menschen gerne ein. Seine Befehle müssten unter allen Umständen eingehalten werden, sie galten als heilig, erklärte er einmal seiner Hausangestellten Helene Hirsch.[15] Häftlinge, die ihm hätten gefährlich werden können, ließ er kurzerhand liquidieren. Göth hielt sich für den ungekrönten König und erwartete unbedingten Gehorsam. Das galt nicht nur gegenüber den Häftlingen, viele der SS-Leute versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen und auszuspielen, ganz im Sinne des von Hitler geförderten Prinzip des Sozialdarwinismus. Während dem Lagerleiter von Auschwitz, Rudolf Höß in keinem Fall persönlich eine Erschießung, Folterung von Häftlingen nachgewiesen werden konnte, war dies bei Göth diametral verschieden. Beim Prozess gegen ihn gab er zu, nicht bei jedem Todesurteil eine individuelle Dienstanweisung eines Vorgesetzten besessen zu haben. Er habe Strenge walten lassen müssen, denn zuverlässiges deutsches Personal sei ihm kaum zur Verfügung gestanden. Göth führte nicht nur Befehle der Vorgesetzten aus, er wollte stets noch grausamer und gnadenloser vorgehen.

Produktivitätseffizienz schützt Häftlinge

Ab Januar musste Göth seine Willkür und Gewaltexzesse zügeln, denn Strafen und Misshandlungen schwächten die Produktivität der Häftlinge und schmälerten den Profit der SS. Als „siegentscheidende“ Rüstungsarbeiter stieg der Wert der Häftlinge, so waren sie von willkürlichen Folter- und Erschießungsaktionen Göths besser geschützt. In seiner eidesstattlichen Erklärung vom 23. Februar 1950 erklärte Mietek Pemper beim Untersuchungsverfahren gegen Gerhard Maurer:

Der Arbeitseinsatzführer des Lagers – im Konzentrationslager Plaszow war das SS-Hauptscharführer Franz Müller – organisierte die Arbeitsbrigaden, teilte die Häftlinge für die Ausführung von Arbeiten zu, erhielt von den Arbeitgebern tägliche Bescheinigungen über die Anzahl der Häftlinge, die an den Arbeitsplatz gebracht wurden, führte Kontrollen der Arbeitsstellen durch und prüfte, ob die Häftlinge effektiv arbeiten, ob sie bei den Arbeiten eingesetzt sind, die in dem Antrag bezeichnet wurden, ob der Betrieb die Anordnungen zur Verhinderung einer Flucht der Häftlinge befolgt, ob das Begleitkommando die Häftlinge richtig beaufsichtigt und zur Arbeit antreibt.“[16]


Weil 1944 alle Häftlinge in das Produktionssystem für den Kriegsbedarf eingebunden waren, war auch die Kontrolle der KZ durch das Amt D II eine genauere, der Lagerkommandant hatte nur noch in begrenzten Umfang die Möglichkeit, Arbeitskommandos selbst abzustellen.

Rettung seiner Mutter Regina vor der Selektion

Familie Pemper Ende der zwanziger Jahre
Familie Pemper Ende der zwanziger Jahre

Am 18. März erlitt Pempers Mutter im KZ Plaszow einen Schlaganfall, danach war sie halbseitig gelähmt und konnte sich nur mit Hilfe eines Stocks fortbewegen. Pemper wandte sich an den deutschen Lagerarzt Dr. Blanke und teilte ihm mit, dass Göth einverstanden sei, dass seine Mutter so lange im Lager bleibe wie er selbst. Blanke und Göth waren gleichrangige SS-Hauptsturmführer, und so fragte Blanke nicht weiter bei Göth nach. Pemper konnte so seine Mutter Regina vor der Selektion beim Gesundheitsappell vom Mai 1944 retten – unter Einsatz seines eigenen Lebens. [17]

Das SS-Wachbataillon im KZ Plaszow

Heinrich Himmler
Heinrich Himmler

Unter den Mannschaften befanden sich auch fremdvölkische Truppen aus dem SS-Ausbildungslager Trawniki bei Lublin, vor allem litauische, russische, ukrainische und lettische Kriegsgefangene. Sie wurden von den Häftlingen besonders wegen ihrer Brutalität gefürchtet. Auch in Schindlers Fabrik in der Lipowastrasse bestand die Bewachung aus solchen Leuten, bei denen der Übergang von Strenge bis zur rücksichtslosen Tötung fließend war. Schindler bestach sie mit Schnaps und Zigaretten. Seit dem 17. Juni 1944 übergab Heinrich Himmler die militärische Sicherung der KZ und Arbeitslager in die Befehlsgewalt der Höheren SS- und Polizeiführer.[18] General Wilhelm Koppe befahl vermutlich daher Göth Mitte Juni 1944, einen Sicherheitsplan für das KZ Plaszow auszuarbeiten.

Einsicht in Sicherheitspläne

Vermutlich wegen seiner krankheitsbedingten Erschöpfung, Diabetes und Leberproblemen und wohl auch aus Bequemlichkeit betraute Göth Pemper weiterhin mit einigen SS-internen Vorgängen, obwohl das gegen die Regeln verstieß. Im Juni 1944 handelte er sogar grob fahrlässig. Göth übergab Pemper mit der Bemerkung, „das dürfe aber wirklich niemand wissen“ die „Alarm- und Verteidigungspläne“ von zwei bis drei anderen Konzentrationslagern und beauftragte ihn damit, diese Pläne auf das KZ Plaszow zu übertragen. Es ging darum zu fixieren, wie viele Wachtürme im Lager waren, wie viele Minuten man für eine Wachablösung benötigte, wo sich Telephonleitungen befanden, wie konnte ein Alarm sicher und rasch weitergegeben werden, wer im Ernstfall zu verständigen sei, usw. usf. Solche Pläne galten als das „Geheimste vom Geheimen“. Nach der Verhaftung Göths brachten diese Kenntnisse Mietek Pemper in größte Schwierigkeiten. Er hatte Pläne der höchsten Geheimhaltungsstufe eingesehen.[19]

Willkür bei der Bestrafung durch Bürokratismus und Kontrolle ersetzt

Die zweite Seite einer Strafmeldung, Konzentrationslager Auschwitz
Die zweite Seite einer Strafmeldung, Konzentrationslager Auschwitz
Gerhard Maurer, vor Gericht
Gerhard Maurer, vor Gericht

Während der ersten Monate im Arbeitslager im Frühjahr und Sommer 1943 hatte absolute Willkür geherrscht. Göth hatte Leute erschossen oder gefoltert, ließ Häftlinge aufhängen oder auspeitschen, ohne irgendjemanden Rechenschaft darüber abzulegen. Ein Tod mit der Schusswaffe war aber ein „komfortabler“ Tod, verglichen mit dem Zerreißen durch Göths Hunde.[20] Seit Januar 1944 musste Göth für Häftlingsbestrafungen eine offizielle Genehmigung aus Berlin einholen, im Vordruck musste die beantragte Zahl der Peitschenhiebe genannt werden, die Zahl der Nächte im Stehbunker usw. Für alles gab es entsprechende Vordrucke und Formulare, die in dreifacher Ausfertigung auszufüllen waren. Eine Strafe durfte erst nach Genehmigung des Antrags vollstreckt werden. Dies bedeutete aber für die Häftlinge keineswegs eine Verbesserung ihrer Situation, eher eine Verdoppelung der Strafe. Wie bisher wurde der Häftling an Ort und Stelle gezüchtigt oder zusammengeschlagen. Wenn die Genehmigung zum Strafvollzug zurückkam, wurde der Häftling ein zweites Mal gezüchtigt. Die willkürlichen Erschießungen hörten allerdings von da an auf. Die Strafgenehmigungen trugen das Signum von Gerhard Maurer.

Erschießung des Lagerältesten Wilek Chilowicz und weiterer 14 Häftlinge

Obwohl die Bestrafung der Häftlinge ab Januar 1944 bürokratisch geregelt war, konnte Göth am 13. August den jüdischen Lagerältesten mitsamt 14 Mitgefangenen ohne Untersuchung kaltblütig erschießen.

Als Göth an diesem Tag zur Kommandantur kommt, findet gerade eine Vernehmung statt. Der Häftling bestreitet, mit einem Wachtmann über die Beschaffung einer Schusswaffe verhandelt zu haben. Göth fordert den beschuldigten jungen Mann auf, durch eines der Fenster zu steigen. In diesem Moment schießt ihn Göth in den Kopf. Pemper nimmt zu Protokoll, dass es sich hierbei um eine Maßnahme zur „Verhütung eines Lageraufstandes“ gehandelt habe. In aller Ausführlichkeit werden in den stundenlangen Protokollen die Planungen des Aufstandes, die Waffenbeschaffung und dergleichen behandelt. Pemper muss eine Namensliste tippen mit den „hingerichteten Rädelsführern des soeben verhinderten Lageraufstandes“. Er wird angewiesen, die letzte Zeile in der Liste frei zu halten. Für Pemper ist dies das Zeichen, dass seine eigene Liquidierung bevorsteht.

Auf der Liste, die noch am gleichen Abend per Kurier nach Berlin weitergeleitet wird, stehen die Namen der unliebsamen Mitwisser seiner Schwarzmarktgeschäfte.Wilek Chilowicz war Göth geradezu hörig und wäre nach dem Krieg mit Sicherheit vor Gericht gestellt worden. Er war fest davon überzeugt, dass er und seine Familie den Krieg überleben würden. Halina Nelken schrieb dazu in ihrem Buch: „Die unmenschlichen Bedingungen wirkten sich auf Charaktereigenschaften aus: Schlechte Menschen wurden vollends böse, gute Menschen verwandelten sich in Heilige.“[21]

Eiskalte Vorbereitung des Mordes an Chilowicz

Bedenkenlos hatte Wilek Chilowicz alle Befehle im Lager ausgeführt. Göth hatte die Ermordung Chilowicz raffiniert eingefädelt. Anfang August hatte er in einem Gespräch mit dem Sicherheitsbeauftragten für das Generalgouvernement, Wilhelm Koppe diesem mitgeteilt, im Lager werde ein Aufstand vorbereitet. Dieser könne nur durch eine Blitzaktion ohne vorherige Benachrichtigung von Oranienburg und ohne Gerichtsverhandlung niedergeschlagen werden. Daraufhin erteilte ihm Koppe die Genehmigung hierfür schriftlich. Damit Chilowicz Fluchtpläne schmieden konnte, spannte Göth den Wachtmann Sowinski ein, der mit Chilowicz daraufhin Fluchtpläne erstellte. Als dieser am 13.August das Lager in einem Holzgaslastwagen verlassen wollte, wurde er vom Wachthabenden Sowinski ertappt. Bei der „Chilowiczgruppe wurden u.a. Brillianten gefunden. Daraufhin befahl Göth die etwa 15 Personen aus der Gruppe Chilowicz zu erschießen. Jeder seiner SS-Offiziere sollte in die Ermordung involviert werden, um diese so zum Schweigen zu bringen: „Auch ging es ihm wohl darum, bei seinen Vorgesetzten in Berlin den Eindruck zu erwecken, alle SS-Offiziere hätten gemeinsam durch ihr sofortiges Handeln einen geplanten Lageraufstand verhindert.“[22]

Letzter Name auf der Liste

Der letzte Name auf der Liste war nicht der von Pemper, sondern von Alexander Spanlang. Er war der jüdische Fachleiter der Tischlerei- und Schreinereiwerkstatt. Bereits entkleidet auf dem Erschießungshügel stehend, sagte er gegenüber dem SS-Untersturmführer Anton Scheidt aus, er habe einige Reitpferde und eine große Anzahl von Wandfließen in der Nähe von Krakau versteckt. Darauf hin ließ Göth Spanlang solange leben, bis sie zu dem Bauern fahren konnten. Erst dann wurde der Name Spanlangs, vermutlich durch Göths Lebensgefährtin Ruth Kalder als letzter Name auf die Liste gesetzt. „Vermutlich wollte Göth durch diese Vorsichtsmaßnahme sicherstellen, dass ich Spanlang nicht noch warnte und er dann das Versteck seiner Reichtümer nicht preisgebe.“[23]

Raffinesse und verbrecherische Phantasie Göths

Amon Göth auf seinem Pferd
Amon Göth auf seinem Pferd

Als Scheidt dann Spanlang am nächsten Tag nach Abholung der Reitpferde und der Wandfließen erschoß, war sein Name schon längst unterwegs nach Berlin:

Göth verfügte über eine ungeheure Schläue und verbrecherische Phantasie, die auch vor Kollaborateuren wie Chilowicz und Simche Spira, dem ehemaligen Leiter der jüdischen Ghettopolizei, nicht haltmachten. Diese Opportunisten glaubten, nur sie würden den Krieg überleben. Doch Göths krimineller Energie waren sie nicht gewachsen.“[24]

Man musste es geschickt einfädeln, wollte man Amon Göth für seine eigenen Ziele benutzen. Die Erhaltung des Lagers war auch im Interesse Göths gelegen. Deshalb konnte die Aktion mit den fingierten Produktionstabellen gelingen:

Doch Göth konnte mich jederzeit beseitigen. Lediglich Oskar Schindler war zu unserem Glück seinem Schein-Freund Göth nicht nur gewachsen, sondern auch charakterlich und moralisch haushoch überlegen.“[25]

Einzelnachweise

  1. Ruth Klüger, weiter leben, München 1994, S. 106
  2. Pemper, S.142
  3. zum ganzen Vorgang Pemper, S.143 mit Anmerkung 57
  4. dieser Brief wurde von David Crowe, Oskar Schindler. Eine Biographie,
  5. „Die Bekenntnisse des Herrn X“, Bericht aus Schindlers Koffer, zitiert nach Pemper, S.144
  6. Mietek Pemper, Der Rettende Weg, Hamburg 2005, S. 147
  7. so Mietek Pemper, S.148
  8. Der „Untermensch“, in: Der Nationalsozialismus – Dokumente 1933-1945, hrsg. von Walter Hofer, Frankfurt/Main 1960, S. 280. Ursprünglich publiziert als: Der Reichsführer SS, SS Hauptamt (Hg.), Der Untermensch, Berlin 1935
  9. Pemper, S.149
  10. Pemper, S. 150
  11. Pemper, S. 151
  12. Pemper, S. 152
  13. ebenda, S. 152
  14. Johannes Tuchel, Die Inspektion der Konzentrationslager. Das System des Terrors 1938-1945, Berlin 1994; Dokument 16.6, S. 92f
  15. Aussage Helena Hirsch beim Prozeß gegen Amon Leopold Göth, zitiert nach Pemper, S. 156
  16. Aussage Pempers beim Untersuchungsverfahren gegen Gerhard Maurer vom 23. Februar 1950, zitiert nach Pemper, S.158
  17. Pemper, S. 160
  18. Jan Erik Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt 1933-1945, Paderborn 2001, S. 403
  19. So Pemper, S. 162
  20. ebenda
  21. Halina Nelken, Freiheit will ich noch erleben. Krakauer Tagebuch, Gerlingen 1996, S. 335
  22. so Pemper, S. 169
  23. Pemper, S. 170
  24. ebenda
  25. ebenda
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