Kapitel 6: Oskar Schindler als Kurier

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Oskar Schindler in Argentinien
Oskar Schindler in Argentinien

Die Arbeit Schindlers für das Waad Haezra Wehazala Bebudapest (WAAD), Joint Rescue Committee (JRC) der JA (Jewish Agency of Palestine)

Das WAAD war 1941 gegründet worden, um Juden aus Polen und der Slowakei zu schmuggeln. Ab 1943 entschloss sich Schindler zur riskanten Zusammenarbeit mit dem WAAD und reiste hierfür nach Budapest, gleichzeitig sorgte er dafür dass Abgesandte nach Krakau kamen, um sich ein Bild vom Schicksal der Juden im Generalgouvernement zu machen. Schindler beteiligte sich am Schmuggel von Geld, Hilfsgütern und Briefen für die Juden in Plaszow.

Inhaltsverzeichnis

Reisen in die Türkei und nach Ungarn

Brief von Schindler an Fritz Lang, 1951
Brief von Schindler an Fritz Lang, 1951

1940 trat Schindler seine Türkeimission an. Dort sollte er helfen, die Konflikte zwischen diplomatischen Korps, der Wehrmacht, dem SD und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda beizulegen. Diese Konflikte störten die Nachrichtenbeschaffung in einem wichtigen Operationsgebiet der Abwehr. Kompetenzstreitigkeiten im NS-Regierungsapparat waren gewollt und ganz im Sinne des sozialdarwinistischen Prinzips zu interpretieren.[1] Hitler entsandte den früheren Reichskanzler Franz von Papen nach Ankara, um die Annäherung der neutralen Türkei an England möglichst aufzuhalten. Und da Schindler als Abwehragent des Amtes Canaris im Schutz des diplomatischen Dienstes und mit diplomatischer Immunität reiste, musste er sich bei Ankunft und Abreise in Papens Botschaft melden. Die Begegnung mit Papen war eher ernüchternd für Schindler, Papen kenne nur „Bruchstücke der Ränkespiele und Vorgänge unter seinem Mitarbeiterstab“ , dagegen interessierte eine neue russische Panzergranate nur am Rande.[2] Dies war Schindlers letzte offizielle Mission für die Abwehr. Drei Jahre später reiste Schindler nochmals im Auftrag der Abwehr in die ungarische Hauptstadt.

Kurier für WAAD und JRC

Oskar Schindler, 1972
Oskar Schindler, 1972

Ende 1942 warben WAAD und JA Schindler als Kurier an. Er sollte Briefe und vor allem Geld und Medikamente ins Krakauer Ghetto und später ins Lager Plaszow schmuggeln. Ein Agent der Abwehr in Krakau, Dr. Rudi Sedlacek eröffnete Schindler, dass er mit der JA (Jewish Agency) zusammenarbeite und fragte Schindler, ob er mit seiner Mitarbeit rechnen könne, einige Briefe an Juden weiterzuleiten. Schindler schmuggelte nicht nur Briefe und Geld, sondern auch Lebensmittel und Kleidung. In der Rolle als deutscher Doppelagent war Schindler sehr wichtig für diese Organisationen. Im Laufe des Jahres kam Sedlacek sechs bis sieben Mal nach Krakau, um sich mit Schindler zu treffen. Er brachte stets persönliche Briefe und größere Geldbeträge mit, die Schindler pünktlich und zuverlässig an die Vertreter des JRC (Jewish Rescue Comittee) aushändigte.

Die Bekenntnisse des Herrn X., Budapest, November 1943

Die Bekenntnisse des Herrn X. Seiten: 1 2;3 4;5 6;7; Quelle: Bundesarchiv Koblenz
Die Bekenntnisse des Herrn X. Seiten: 1 2;3 4;5 6;7; Quelle: Bundesarchiv Koblenz

Wegen der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit Schindlers lud das JRC Schindler nach Budapest ein. Dort sollte er über das Leiden der Juden in Polen berichten. Das Treffen fand im November 1943 in einem Budapester Hotel mit Kasztner und Springmann statt. In Schindlers Koffer findet sich ein ausführliches Protokoll des Gespräches, das den Titel „Bekenntnisse des Herrn X trägt.[3]

Das von Kasztner und Springmann verfertigte Protokoll offeriert tiefe Einblicke in Schindlers Denken und Handeln. Sie seien von einem „hochgewachsenen, breitschultrigem Herr .... zwischen 40 und 50“ empfangen worden. „Wir wollen von ihm die Wahrheit erfahren. Wir wollen ihn bitten, breiter das Fenster zu öffnen... wie schaut dies furchtbare Welt hinter den Mauern aus, gesehen von einem, der im besten Fall nur ein ‚objektiver’ Beobachter sein kann?“ [4] Schindler übergab zunächst einige Briefe von Abraham Bankier, Izhak Stern und Chaim Hilfstein an Empfänger in Palästina. Dann kam Schindler zum Thema: „Herr X spricht. Er gibt sich Rechenschaft von der Größe der Tragödie und spricht über sie offen, unbefangen. Für ihn ist die Vernichtung der Juden von Civia ein Kapitel der politischen Fehler, die die Deutschen in Europa begangen haben. ‚Schädel von Säuglingen mit dem Stiefel zu zertreten, ist keine militärische Art’, sagte er. Die Ursache der Schwierigkeiten, denen die Deutschen heute begegnen, liegt meistens in diesen und ähnlichen Fehlern, denn die deutsche Wehrmacht hat Großartiges geleistet und hätte militärisch den Krieg gewinnen können. Die Politik aber, die den besiegten Völkern gegenüber befolgt werde, sei falsch. Er betrachtet sich auch als Österreicher, nicht verantwortlich für diese Fehler. Die sind Preußen zuzuschreiben.“ [5]

Generalbefehl zur Ermordung der Juden?

Heinrich Himmler (rechts)
Heinrich Himmler (rechts)

Auf die Frage welchen „Sinn“ die Vernichtung von Millionen von Juden habe, antwortete Schindler, dass durch den Militarismus, der seit 200 Jahren in Preußen gezüchtet worden sei, die Intelligenz vernachlässigt wurde und nur um den Vorsprung der überlegenden Völker noch einholen zu können, die Juden getötet würden. Des Weiteren gab Schindler an, dass in den verbliebenen 17 Konzentrationslagern noch 220-250 000 Juden lebten und ebenso viele illegal versteckt würden oder gefälschte Papiere hätten. Kasztner und Springmann wollten von Schindler wissen, ob es einen Generalbefehl zur Vernichtung der Juden gäbe: „Ich glaube nicht, ..... dass es eine allgemeine Verordnung gab. Ich nehme aber an, dass ein jeder SS-Führer den anderen mit Vernichtungsziffern übertreffen wollte. Keiner von diesen wollte seine Karriere aufs Spiel setzen. Die Initiative ist aber nicht von ihnen gekommen.... Eine höhere Stelle hat sie beauftragt wahrscheinlich, gefährliche oder nutzlose Juden zu vernichten. Sie haben diesen Auftrag mit der Brutalität vollstreckt, an die sie schon zuhause gewohnt waren...... Sie sind abgestumpft, brutalisiert. ...... Freilich gab es jemanden von oben, der die Vernichtung verordnet hat. Aber ich glaube nicht, dass sie eine totale Vernichtung verfolgten.“ [6] Da Himmler die Arbeitskräfte in Industriezentren konzentrieren wollte, traf eine Mäßigung des mörderischen Regimes ein. Es sei ein Wandel im Denken des Wehrwirtschaft- und Rüstungsamts zu bemerken. Er selbst habe diesen Stellen berichtet, dass jüdische Arbeiter bis zu 40 % mehr Leistung erbrächten als die Polen.

Rolle der Wehrmacht

Oskar Schindler in den 40er Jahren
Oskar Schindler in den 40er Jahren

Schindler war der Ansicht, dass die Deutsche Wehrmacht an den Verbrechen der SS nicht beteiligt gewesen sei[7] und berichtete auch davon, dass deutsche Soldaten Juden das Leben gerettet hätten und die Wehrmacht sich dem Kommissarbefehl, jüdische Gefangene der Roten Armee zu töten, widersetzt hätten. Die von Schindler genannte Zahl von 4 bis 4,5 Millionen getöteter Juden ließ Kasztner und Springmann erschüttern. Auch die Tatsache, dass fast alle Kinder zwischen 0 und 14 erschossen oder vergast würden und dasselbe Schicksal nun auch die Menschen über 50 ereile, rief blankes Entsetzen hervor.

Rolle Göths

Amon Göth; Quelle: Sachslehner, S. 153
Amon Göth; Quelle: Sachslehner, S. 153

Sodann kam Schindler auf sein Verhältnis mit Göth zu sprechen: „Er hat schrecklich gerne französischen Kognac. Wenn ich ihn besuche, muß ich mindestens 5-6 Flaschen mitnehmen und eine Flasche kostet 2-3000 Zloty. Dieser Führer hat mindestens 300 000 Juden auf dem Gewissen. Ich bin mit ihm auf die Jagd gegangen, ich habe mit ihm getrunken. Ich habe versucht, ihm zwischen zwei Schnaps klarzulegen, dass die Ermordung der Juden eigentlich sinnlos und überflüssig ist. Ich glaube auf ihn gewirkt zu haben. Ich bin davon überzeugt, dass seitdem ich diesen Kontakt mit ihm angeknüpft habe, in den ihm unterstellten Lagern nicht einmal 10% erschossen werden, als vorher. Ich habe bei ihm erreicht, dass er mir erlaubt, Juden zur Arbeit in meine Fabrik zu bestellen. Ich kann selbst bestimmen, wen ich haben will. Das ist eine große Errungenschaft. Der SS-Führer ist doch berühmt davon, dass er keinen Juden aus seinen Händen lebendig ausgegeben hat.“ [8]

Korruptheit der SS

Hujowa Gorka, der Hinrichtungsplatz in Plaszow
Hujowa Gorka, der Hinrichtungsplatz in Plaszow

Schindler äußerte auf Nachfrage die Ansicht, dass man den gefangenen „Brüdern“ nur durch Geld, Medikamente, Lebensmittel und durch Manipulation der SS-Führer helfen könne. Die Fluchtmöglichkeiten, nach denen sich Kasztner und Springmann erkundigten, gäbe es nur für Einzelpersonen oder sehr kleinen Gruppen. Wer an Bestechung von Wachen denke, der müsse mit fünf Gruppen rechnen: der Gestapo, der deutschen und polnischen Polizei, den ukrainischen Milizen und dem Ordnungsdienst. „Sie können Sie nicht alle kaufen.“ Einmal hätten „18 steinreiche Juden den Fahrer eines Lastwagens der Deutschen Arbeitsfront bestochen, dieser fuhr die unter einem doppeltem Boden versteckten Flüchtlinge zur slowakischen Grenze. Dort wurde der LKW angehalten und durchsucht, die Flüchtlinge gefunden. Sechzehn wurden auf der Stelle erschossen, zwei zurückgeschickt. Die waren Konfidenten. Ähnliches sei hundertfach geschehen.“ [9]

Rolle des jüdischen Ordnungsdienstes

Besonders lies sich Schindler über den jüdischen Ordnungsdienst und die Konfidenten aus. Diese stolzierten wie ihre einstigen Peiniger herum und quälten ihre Mitgefangenen. Er habe außerdem von einer jüdischen Lagerführerin gehört, die mit einem Stück Holz wöchentlich 50-60 Schädel eingeschlagen habe. Die letzte Frage bezog sich auf die Kämpfe im Warschauer Ghetto vom 19. April bis 16. Mai 1943, die blutig niedergeschlagen worden waren: „ ... es hat sich dort eine jüdische Selbstwehrgruppe gebildet. Sie haben Waggons mit Zement entgleisen lassen, sich Bunker gebaut, von italienischen und deutschen Soldaten Gewehre gekauft und verdächtige Juden, die sie verraten könnten, erledigt. (…) Zehntausende sind gefallen. Das Ghetto wurde in Brand gesteckt(…).“ Schindler selbst wertete seinen ersten Besuch in Budapest als Misserfolg, da die Juden, mit denen er verhandelt hatte, ihm nicht geglaubt hätten, „was im Lager geschieht“. Dennoch setzte er die Kooperation mit Sedlacek und der JA fort.

Weitere Kurierdienste und Kontakte

Schindler fuhr wiederholt nach Budapest, um sich mit Sedlacek und anderen zu treffen. Umgekehrt gelang es Schindler, dass Sedlacek und ein Begleiter ihn in seinem Lager besuchen konnten, von wo aus sie mit einer Kleinbildkamera Beweise zu sammeln versuchten. Daraufhin lud Schindler Göth zu einem Gelage ein. Da Göth davon überzeugt war, dass die Gäste bedeutende Würdenträger seien, veranlasste er eine Werkstättenbesichtigung. An der Grenze nach Ungarn wurden die beiden jedoch kontrolliert und sie sahen sich gezwungen, die Bilder zu vernichten, einige Bilder kamen durch. Im Frühjahr 1944 verschwand Rudi Sedlacek von der Bildfläche.

Einzelnachweise

  1. Bericht über die Türkeimission Schindlers im Brief an Fritz Lang, abgedruckt bei: Erika Rosenberg, a.a.O., S. 25-40, hier S. 27f
  2. Schindler an Fritz Lang Juli 1951, abgedruckt bei Erika Rosenberg, a.a. O., S. 28
  3. BA Koblenz
  4. Ebenda, zitiert nach : Crowe, S. 344
  5. ebenda.
  6. ebenda
  7. vgl. hierzu: http://www.zeit.de/2007/07/P-Huerter ; http://www.fes.de/info/info98_1/info_t06.htm ; http://www.fes.de/info/info98_1/info_t06.htm
  8. ebenda
  9. ebenda.
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