Kapitel 1 - Krakau
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Video: Rede Mietek Pempers an der Universität Augsburg: „Mut zum Widerstand“, 2001. |
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Das geistige und kulturelle Umfeld Krakau
Mietek Pemper wurde 1920 in Krakau an der Weichsel geboren und lebte dort fast vierzig Jahre. Bei seiner Befreiung aus der Lagerhaft war er 25 Jahre alt.
Nach dem Tod der Mutter zog er 1958 mit seinem Vater nach Augsburg, wohin sein Bruder nach Kriegsende bereits gezogen war. Seine Familie stammte aus einer alteingesessenen Krakauer Familie, nur die Mutter des Vaters kam aus Breslau.Die ganze Familie wuchs zweisprachig auf, die Kinder und Enkel sprachen zu Hause polnisch und deutsch.
Noch heute fühlt sich Mietek Pemper dem polnischen, deutschen und jüdischen Kulturkreis verbunden, die Zweisprachigkeit verstand er als Fenster zur Welt. Die Stadt Krakau gehörte seit den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des 1. Weltkriegs zur Habsburger Donaumonarchie. Die deutsch-österreichische Kultur und Liberalität prägte die Menschen. Früh verstand Mietek Pemper die Verschiedenartigkeit von Sprachen, Konfessionen und Kulturen. Die Hinwendung zur slawischen Tradition nach dem I. Weltkrieg brachte es mit sich, dass die Eltern ihn Mieczyslaw tauften, das heißt „Der mit dem Schwert Ruhm errang“. Den Vetter seines Vaters hingegen nannte man Egmont, um an die deutsche Tradition zu erinnern. Die Tatsache, dass Mietek Pemper keinen biblischen Namen erhielt, zeugt von dem Grad der Akkulturation der Eltern. Eltern und Großeltern waren in Lebensführung und Kleidung assimiliert - im Unterschied zu vielen Juden Krakaus.
Dennoch war die Familie im jüdischen Glauben verwurzelt. Sein Vater legte während des I. Weltkriegs ein Gelübde ab, dass er, falls er den Krieg überleben sollte, eine Thora-Rolle.stiften würde, was er auch gehalten hat. Bei der Umsiedlung nach Deutschland brachte Mietek Pemper die Thora-Rolle mit, die sich jetzt in einer Synagoge in Hamburg befindet, wo sein Bruder Stefan (mittlerweile verstorben) mit seiner Familie lebte.
Seine Eltern Jakob und Regina heirateten 1918, nachdem sein Vater aus der österreichischen Armee nach Krakau zurückgekehrt war. Im 1. Weltkrieg hatte er positive Erfahrungen mit deutschen Soldaten gemacht.
Stammbaum der Familie Pemper (handschriftlich bzw. maschinenschriftlich) |
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Einschätzung des Nationalsozialismus
Als sich die Eltern nach 1933 im Kreise der Familie über Adolf Hitler unterhielten, waren sie sehr über die politische Situation in Deutschland beunruhigt, konnten sich aber nicht die schrecklichen Konsequenzen für sie vorstellen. Man ging davon aus, dass es mit der hohen Arbeitslosigkeit und der Weltwirtschaftskrise und dem verlorenen Krieg zu tun hatte. Den Nationalsozialismus hielt man im Familienkreis für eine Fehlentwicklung, eine transitorische Erscheinung.
Probleme und Neigungen des jungen Mietek
Mietek Pemper war ein zerbrechliches und kränkliches Kind, das es nicht sehr leicht hatte, zudem er auch Linkshänder war, das zu dieser Zeit als Behinderung galt. Er musste sich immer beherrschen das Richtige zu tun und so rangierte bei ihm Überlegung vor Spontaneität.
Mit 7 Jahren begann er, Geige zu spielen. Zu seiner Leidenschaft gehörte schon immer die Lektüre historischer Bücher, ja sogar von Quellentexten. In relativ jungen Jahren erwarb er sich damit ein breites Wissen über historische und politische Zusammenhänge.
Schule und Elternhaus
Durch seine samstäglichen Besuche in der Synagoge lernte er die Bescheidenheit und Feinfühligkeit des Rabbiners kennen, die ihn nachhaltig beeindruckten. In seinen ersten Lebensjahren wohnte die Familie mit seinem Großvater väterlicherseits im Stadtteil Podgorze. Sein Vater und Großvater waren im Agrarhandel tätig. Sie bezogen Getreide aus Posen und verkauften es an die Bäcker der Umgebung.
Als Mietek Pemper sieben Jahre alt war, zog die Familie einen anderen Stadtteil in Krakau auf der anderen Seite der Weichsel in der Nähe weitläufiger Parkanlagen In dem neuen Mietshaus wohnten nur drei jüdische Familien und auch in seiner Schule gab es nur wenige Juden, Mietek Pemper hatte fast nur nichtjüdische Freunde.
Mietek Pemper fühlte sich sehr wohl, das Lernen fiel ihm leicht, dank seiner Zweisprachigkeit baute er ein deutsche Bibliothek am Gymnasium auf und gab ab 1936 eine Schülerzeitung heraus.
Diskriminierung und Antisemitismus in Krakau
Viele Landjuden hatten eine unzureichende Schulbildung und beherrschten die polnische Sprache kaum. Ihre Alltagssprache war jiddisch, die Sprache ihrer Religion Hebräisch. Das war mit ein Grund für die Vorurteile gegenüber den Juden, die sich häufig Hohn und Spott ausgesetzt sahen. Mietek Pemper wurde aber weder von seinen polnischen Freunden, Schulkameraden noch Lehrern diskriminiert.Die Katholische Kirche schürte den Antisemitismus in Polen [1], der in der Mitte der Dreißiger Jahre den „Kitt“ des neunen polnischen Nationalsozialismus bildete. Nach dem Tod des Staatsoberhaupts Marschall Josef Pilsudski kam es zu massiven antisemitischen Maßnahmen an den Universitäten Lwow, Warschau und Krakau. Der junge Mietek Pemper bekam das als Student hautnah zu spüren.
Diskriminierung von Juden an der Universität
Dank eines hervorragenden Abiturs im Mai 1938 durfte Mietek Pemper gleichzeitig an zwei Hochschulen studieren. Bis zur Schließung aller polnischen Hochschulen im Jahr 1939 studierte er an der Jagiellonen-Universität Jura und an der Hochschule für ÖkonomieBetriebswirtschaft und Rechnungswesen. An der Hochschule für Ökonomie lag im besten Stadtteil Krakaus, wo sich die deutschen Besatzer nach 1939 mit Vorliebe einquartierten, nachdem sie die rechtmäßigen Eigentümer vertrieben hatten. Es fanden zwar noch einige Lehrveranstaltungen an der Hochschule statt, aber nur für polnische Studenten. So konnte Mietek Pemper sein Hochschulstudium erst nach dem Krieg beenden.
Im Herbst 1938 schrieb der Rektor der Jagiellonen-Universität das Benutzen bestimmter Bänke für Juden zwingend vor. Die jüdischen Studenten blieben deshalb bei den Vorlesungen demonstrativ stehen. Sie wehrten sich gegen diese Diskriminierung und die Übernahme der „Nürnberger Gesetze“ in Polen .Die Folge war ein Disziplinarverfahren und ein Eintrag im Studienbuch wegen „Nichtbeachtung der Anordnungen des Rektors. Durch diesen Vorfall entwickelte sich bei Mietek Pemper ein distanziertes Verhältnis zu den Polen. Zum ersten Mal wurde ihm klar,dass er als Jude in seinem Heimatland nicht akzeptiert und erwünscht war.
„Frustra vivit, qui nemini prodest“
– Mietek Pemper
Diese lateinische Inschrift (zu deutsch: Vergebens lebt, der niemanden hilft bzw. nützlich ist.) auf einer protestantischen Kirche in Krakau blieb Mietek Pemper unvergesslich, denn während des 2.Weltkriegs erwiesen sich nur wenige Menschen als selbstlose Helfer der verfolgten Juden. Er ist komplementär zu einem anderen Ausspruch zu sehen, der auf der Innenseite eines Verwaltungsgebäudes in Krakau angebracht war:
„Prästantibus viris negligere virtutem concessum non est.“ (zu deutsch: herausragenden Männern ist das Vernachlässigen/Vergessen von Mut/Tapferkeit nicht erlaubt). Mietek Pemper zog daraus die Erkenntnis, dass Personen, die durch eigenen Wunsch oder fremde Einwirkung an besonderer Stelle stehen, nicht nur mechanisch ihre Aufgaben erfüllen dürfen.
Stellung der Stadt Krakau nach der Besatzung durch die Nationalsozialisten
Da die Nationalsozialisten Krakau 1939 zur „urdeutschen Stadt“ proklamierten, wurde es kaum bombardiert. Später wurde Krakau zum Versorgungskontenpunkt zwischen dem Reich und den Truppen im Osten. Somit blieb die gesamte Infrastruktur erhalten, z.B. die Universitätskliniken, und südöstlich von Krakau wurde 1940 der Bahnhof Krakau-Plaszow ausgebaut, wo in unmittelbarer Nähe das Zwangsarbeiterlager errichtet wurde.
Im Gegensatz zu Krakau sollte Warschau als Nest des Widerstands und Symbol des Polentums dem Erdboden gleichgemacht werden. Der westliche Teil Polens wurde dem Deutschen Reich einverleibt, den mittleren Teil deklarierten die Deutschen zum Generalgouvernement, den östlichen Teil annektierte die Sowjetunion gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939. Der Generalgouverneur Dr. Frank wählte die traditionsreiche Königsburg Wawel zu seinem Herrschaftssitz und ließ die Burg mit Hunderten von Nazifahnen beflaggen.
Reichsdeutsche und Volksdeutsche
Die Deutschen führten in Polen die Unterscheidung zwischen „reichsdeutsch“ und „volksdeutsch“ ein. Mietek Pemper erinnerte sich an seinen Gymnasialdirektor Edward Türschmid, der sich als polnischer Patriot fühlte und sich damit nicht in die „Volksliste“ eintragen ließ. Wer deutsche Vorfahren nachweisen konnte, erhielt als Volksdeutscher berufliche Vorteile und Erleichterungen im Alltag. Direktor Türschmid wollte Pole bleiben und dies allein verstand die deutsche Besatzung als Affront, er durfte nicht in seinem Beruf arbeiten und musste besondere Entbehrungen in Kauf nehmen. Nach dem Krieg half er Mietek Pemper bei der Wiederbeschaffung seiner Papiere und schrieb ihm nochmals, wie bereits 1938, eine Empfehlung für beide Hochschulen, um gleichzeitig studieren zu dürfen.
Aussiedlung der Juden
Im September 1938 verabschiedete die polnische Regierung ein Dekret, in dem alle Polen im Ausland aufgefordert worden waren, in kurzer Zeit ihre polnische Staatsangehörigkeit zu bestätigen. Viele der polnischen Juden im Deutschen Reich taten dies nicht und ihnen sollte damit zum 1. Aufgrund des gestiegenen Wohnbedarfs in der Hauptstadt des Generalgouvernements sollten die Juden aus der Stadt vertrieben werden. Im Deutschen Reich war es bereits Ende Oktober 1938 zur sogenannten "Polenaktion" gekommen, das heißt Tausende von Polen, auch wenn sie seit Generationen im Deutschen Reich wohnten,wurden nach Polen abgeschoben. Unter ihnen befanden sich auch 17.000 Juden, denen aber von Polendie Einreise verweigert wurde.
„Polenaktion“ im Oktober 1938
Chaim Yechieli, ein in Deutschland geborener 14-jähriger Jude mit polnischem Paß schrieb dazu: „Die SS..... hat uns über die Grenze ins Niemandsland getrieben, hat mit Stöcken geschlagen. Wir standen 6 Stunden zwischen den beiden Grenzen. Es gab einen Sprühregen. Und die Deutschen standen mit gezückten Revolvern auf der einen Seite und die polnischen Soldaten mit Bajonetten auf dem Gewehr auf der andern“.
Letztendlich wurden Tausende dieser Abgeschobenen die Grenze nach Polen passieren und wurden unter erbärmlichen Bedingungen im grenznahen Zbaszyn notdürftig untergebracht. Viele von ihnen wanderten schließlich aus, die anderen fielen knapp ein Jahr später der SS in die Hände.
Herschel Grynszpan
Zu den unfreiwillig nach Zbaszyn transportierten Juden zählt das Ehepaar Grynszpan. Knapp eine Woche nach der gewaltsamen Ausweisung seiner Eltern erschoss der 17 jährige Sohn Herschel in Paris den deutschen Ernst Eduard vom Rat. Diese Verzweiflungstat nahmen die Nazis als Vorwand für die in Wahrheit gut vorbereitete Reichspogromnachtvom 9. November 1938.Da Mietek Pemper über solide Deutschkenntnise verfügte, erklärte er sich zur zur Betreuung der abgeschobenen Juden bereit erklärte. Viele von ihnen sprachen kein Wort polnisch, weil sie in Deutschland geboren waren, wenn auch ihre Großeltern aus Polen stammten. Sie waren vollkommen mittellos und hilflos. Er half ihnen Briefe an Verwandte im Ausland zu schreiben, denn sie hatten nur ein Ziel, Polenso schnell wie möglich zu verlassen.
Zu diesen Vertriebenen gehörte auch die Familie Gutter. David Gutter wurde vier Jahre später, im Sommer 1942 auf Befehl der deutschen Sicherheitspolizei zum kommissarischen Leiter der jüdischen Gemeinde in Krakau bestimmt. Dort lernte Mietek Pemper ihn kennen.
Fatale Fehleinschätzung Adolf Hitlers und seiner Ziele
Viele der Abgeschobenen rieten Mietek Pemper, Polen zu verlassen, denn Adolf Hitler werde auch in Polen einmarschieren. Damals hielt Mietek Pemper solche Prognosen für übertriebene Panikmache. Wie im nebenstehenden Dokument von Reinhard Heydrich aber deutlich wird, hatten die Nationasozialisten sehr klare Vorstellungen darüber, wie mit den Juden in den besetzten Reichsgebieten umzugehen sei. [2]
Reinhard Heydrich zur Behandlungvon Juden im besetzten Reichsgebiet, 21.09.1939 (pdf)
„Ich habe mich seitdem oft gefragt: Wie konnten wir alle, wie aber konnten vor allem die Westmächte damals so blind sein? Nach dem Krieg wurde bekannt, dass selbst die Alliierten das Kriegspotential Adolf Hitlers völlig unterschätzt hatten.“
– Pemper, S. 27
Einzelnachweise
- ↑ In einem Hirtenbrief des Primas von Polen , Augustus Kardinal Hlond vom 9. Februar 1937 hieß es: „Es ist eine Tatsache, dass die Juden gegen die Katholische Kirche kämpfen, dass sie in Freidenkerei verfallen sind, dass sie die Avantgarde der Gottlosigkeit, der bolschewistischen Bewegung und der subversiven Aktionen sind. Es ist eine Tatsache, dass der jüdische Einfluss auf die Moral beklagenswert ist und dass ihre Verlage Pornographie vertreiben. Es ist wahr, dass sie Betrüger sind und Wucher und Mädchenhandel betreiben. Doch nicht alle Juden sind so. Es gibt auch Gläubige, rechtschaffene, ehrbare, mildtätige und wohlmeinende Juden ..... Es ist gestattet, sein eigenes Volk vorzuziehen, es ist falsch, irgend jemand zu hassen. Selbst Juden. In Handelsbeziehungen ist es rechtmäßig, seine eigenen Leute zu bevorzugen, jüdische Geschäfte zu meiden, aber es ist falsch, jüdische Läden zu plündern, jüdische Waren zu vernichten, Fensterscheiben einzuschlagen und Bomben auf ihre Häuser zu werfen.“ Zitiert nach: Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933 bis 1939; München 1938, S. 236
- ↑ Reinhard Heydrich zur Behandlung von Juden in den besetzten Reichsgebieten.21.9.1939: Schnellbrief an die Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei,aus: Archiv Pemper mit freundlicher Genehmigung von Regina Pemper, 21.9.2011
Kapitel 1 - Krakau • Kapitel 2 - Der Überfall • Kapitel 3 - Im Ghetto • Kapitel 4 - Das Lager Krakau Plaszow: Amon Göth und Oskar Schindler • Kapitel 5 - Der Trick mit den Produktionstabellen • Kapitel 6 - Eine Überraschung beim Prozess gegen Gerhard Maurer • Kapitel 7 - Plaszow wird zum Konzentrationslager • Kapitel 8 - Kontraste: Ein Massenmörder und ein Lebensretter • Kapitel 9 - Schindlers Liste - Die Unbekannte Vorgeschichte • Kapitel 10 - Die Befreiung von Brünnlitz • Kapitel 11 - Rückkehr in ein Krakau ohne Juden • Kapitel 12 - Warum wir uns erinnern müssen • Kapitel 13 - Mörder ohne Reue • Kapitel 14 - Izak Sterns Bericht